Luftverschmutzung: Eroberung der Hamburger Lufthoheit
Viele Eimsbütteler sorgen sich um die grüne Zukunft und die vorherrschende Luftqualität in ihrem Bezirk. Beim Thema Feinstaub mussten sich die Hamburger bislang auf die Ergebnisse von rund ein Dutzend Messstationen verlassen. Die Gruppe „Code for Hamburg“ möchte das ändern und gibt Freiwilligen eine technische Lösung an die Hand. Ein Beitrag aus unserem Magazin #11.
Von Fabian HennigTimo Lundelius sitzt an einem der ersten warmen Tage im April in seinem Konferenzraum in Lokstedt und schaut nach draußen – mit Blick auf den blauen Himmel über der Lenzsiedlung: „Man könnte denken, dass heute wenig Feinstaub in der Luft ist, aber die Karte zeigt etwas anderes”. Mit Karte meint er die Feinstaub-Karte von „luftdaten.info”, einem Citizen Science Projekt, bei dem Ehrenamtliche sich bei den Angaben über den Feinstaubgehalt in der Luft nicht auf staatliche Stellen verlassen wollen. Von Freiwilligen zusammengebaute Sensoren werden an Hauswänden, im Garten und auf Balkonen angebracht. Aus den übermittelten Daten generiert die Website eine sich ständig aktualisierende Karte.
Digitalisierung und Stadtplanung zusammenzubringen
Das Luftdatenprojekt könnte vielen Eimsbüttelern aus dem Herzen sprechen. Besonders in letzter Zeit sorgen sich viele von ihnen wegen Grünfraß und der damit verbundenen Veränderung der Luftqualität in ihren Vierteln. Es ist zwar nicht nur die Luftqualität, die viele Bürger zu mehr Widerstand veranlasst, doch es könnte ihnen ein Argument mehr liefern, um gegen Grünverlust zu protestieren.
An der Julius-Vosseler-Siedlung werden Kleingärten abgerissen, ein weiteres Kleingartengelände wurde an Beiersdorf verkauft. Um das zu verhindern, hatte sich die Initiative „Lebenswertes Lokstedt” gegründet. Auch der Nabu Hamburg sieht den Grünerhalt problematisch und hat eine Volksinitiative gegen Hamburgs Grün- und Baumverluste gestartet. Ihrer Meinung nach habe sich der Grünfraß in Hamburg in den letzten fünf Jahren durch den Bau von Wohnungen, Gewerbeflächen und Infrastruktur zugespitzt. Ob sich dadurch unsere Luftqualität verändern wird, ist derzeit nicht absehbar. Im Auge sollte man das behalten.
Lundelius selbst hat es sich zur Aufgabe gemacht, gesellschaftliche und politische Prozesse zu mehr Offenheit und Transparenz weiterzuentwickeln. Dabei ist der 32-Jährige mehr Daten- als Umweltaktivist. „Ich möchte lieber auf offene Strategien setzen und neue Wege gehen”, sagt Lundelius. Für ihn bedeutet das, auf die Öffnung der Verwaltung zu setzen und ihr mehr Spielraum in Zusammenarbeit mit IT-Konzernen zu geben. Dazu sollten Verträge weniger lange Laufzeiten haben. Das Ziel steht für ihn fest: Mehr Kontrolle über die eigenen Daten. Um die Themen Digitalisierung und Stadtplanung zusammenzubringen hat er die Agentur „We-Build.City” gegründet, die in Lokstedt ihren Standort hat.
Mit anderen Programmierern und Ehrenamtlichen von „Code for Hamburg”, CFH, hat Lundelius sich vor einiger Zeit dem Stuttgarter Projekt „Luftdaten.info” angeschlossen. CFH ist ein ehrenamtliches, zivilgesellschaftliches und digitales Stadtlabor, das aufgrund von offen zugänglichen Daten neue Apps oder Karten programmiert, um komplexe Sachverhalte verständlicher zu machen. Dabei sei CFH keine Umwelt-NGO, sagt Lundelius. In erster Linie wolle man erreichen, dass mehr auf „open data”, “open source” und „open software” gesetzt werde. „Open government” nennt Lundelius das.
Feinstaub selbst messen
Luftdaten.info wurde von „Code for Stuttgart” ins Leben gerufen, im Besonderen von Jan Lutz, dessen Name seitdem oft in den Medien zu lesen ist. Sogar der „Guardian“ hat schon über das Projekt geschrieben. Weil Stuttgart in einem Tal liegt, ist die Feinstaubbelastung höher als in anderen Städten. Das trieb das Team um Jan Lutz zu der Idee, Messsensoren für die Masse herzustellen und daraus eine Echtzeitkarte zu generieren. Mittlerweile hat das Projekt so viele Menschen mitgerissen, dass weltweit derzeit 4.501 Sensoren angemeldet sind. In Hamburg waren es Anfang April 165 Sensoren. Der Großteil wurde mit Unterstützung von CFH hergestellt – viele in Workshops zusammen mit den Freiwilligen. „50 Leute haben die Dinger ohne uns zusammengebaut, das finde ich prima”, sagt Lundelius.
Ein Messgerät kostet zwischen 30 und 50 Euro und kann mit etwas technischem Geschick zu Hause zusammengebaut werden. Die Software wird aus dem Internet geladen und auf der Platine installiert. Nur eine Stromquelle und einen Wlan-Zugang werden benötigt. Konstruktionsbedingt werden die Komponenten, bestehend aus Feinstaub-, Temperatur und Luftfeuchtigkeitssensoren, in ein handelsübliches Abwasserrohr gesteckt. „Der Sensor ist einfacher zusammengesteckt als gedacht”, erklärt Lundelius. Nur würde sich das CFH-Team noch mehr ans Netzwerk angeschlossene Sensoren wünschen. Mindestens 500 Stück hätte er gerne im Stadtgebiet, sodass Hamburg einigermaßen flächendeckend versorgt ist.
Mitte April waren im Bezirk Eimsbüttel 14 Sensoren im Einsatz. Einer von ihnen, Sensor-id „4317“, ist oft rot und damit deutlich überschritten. Montiert ist er in der Nähe der Kieler Straße, aus Datenschutzgründen ist der genaue Standort nicht einsehbar. Am 12. April zeigt er um 8:30 Uhr zwei Feinstaubwerte an: PM10 liegt bei 743 µg/m³, PM2,5 bei 125 µg/m³. Die durchschnittlichen Grenzwerte pro Tag liegen bei 50 (PM10) und 25 (PM2,5) – bei PM10 sind 35. Überschreitungen im Kalenderjahr erlaubt. Eine Stunde später haben sich die Werte normalisiert. Feinstaub wird in zwei Partikelgrößen gemessen, je nach Größe und Eindringtiefe der Teilchen sind die gesundheitlichen Auswirkungen von Feinstaub verschieden. PM10 kann beim Menschen durch die Nasenhöhle in tiefere Bereiche der Bronchien eindringen. Die kleineren Partikel PM2,5 dringen noch tiefer, bis in die Bronchiolen und Lungenbläschen, vor. Damit schaden die Mikropartikel Herz, Lunge und Gefäße, die Folge können Herzinfarkte oder Lungenkrebs sein.
Feinstaubbelastung in Echtzeit sehen
Einem gesundheitlichen Risiko könne durch die Feinstaubkarte entgegengewirkt werden, sagt Lundelius. Auf der Karte sehe man in Echtzeit, wo die Belastung gerade hoch und niedrig sei, erklärt er. Das biete individuelle Vorteile: „Ich kann wunderbar für mich feststellen, wo gerade viel Feinstaub unterwegs ist. Entweder schließe ich dann die Fenster oder gehe eben nicht joggen.” Für kleinere Gebiet ließe sich somit eine Aussage und Vorhersage treffen. Zudem liefere es auch Erklärungen über die Feinstaubverteilung. Auf der einen Seite stünden die Verursacher, die den Feinstaub produzieren, und auf der anderen Seite die aktuelle Wetterlage, die die Mikropartikel in der Stadt verteilt.
Ein Problem jedoch, an dem noch gearbeitet werden muss, ist die Genauigkeit der Sensoren, um verlässliche und gültige Daten zu erzeugen. „Das Projekt ist eine schöne Idee, um junge Menschen für Technologie zu begeistern”, sagt Heinke Schlünzen von Meteorologischen Institut der Universität Hamburg. „Es hat viele Menschen aufgerüttelt.” Allerdings wisse man bislang nicht, ob die Daten belastbar sind, merkt Schlünzen an. Dieses müsse weiter untersucht werden, um zu entscheiden, ob die Technik und Aufstellung sowie die Datenqualität den EU-weit einheitlich gesetzlich geregelten Kriterien genügt, die an Messungen für die Überprüfung der Luftbelastung gestellt werden.
Auch „Luftdaten.info“ schreibt auf ihrer Internetseite dass die Werte keinen Anspruch auf exakte Genauigkeit haben. Dazu müsse man die Fehler, die bei der Messung auftreten, mit in das Ergebnis einbeziehen: „Bei hoher Luftfeuchte, insbesondere Nebel, können die Werte deutlich höher sein, da die offiziellen Stationen den getrockneten Feinstaub messen.” Dennoch lieferten die Daten eine wichtige zusätzliche Information. Bei einer Messung der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, LUBW, die den von „Luftdaten.info“ verwendeten Sensor „SDS011” mit einem kalibrierten Feinstaubmonitor verglichen, kamen ebenfalls höhere Werte heraus. Durch klimatische Bedingungen wie Luftfeuchtigkeit, Luftdruck und Lufttemperatur entstünden Abweichungen zwischen den Messwerten. Jedoch trete bei einer mittleren Luftfeuchtigkeit von ca. 50 – 70 Prozent und einer Staubbelastung unter 20 Mikrogramm eine „zufriedenstellende Korrelation” auf. Dass die LUBW die selbst gebastelten Messstation nicht verurteilt, sondern Vorschläge zur Verbesserung der Technik und der Messbedingungen macht, zeigt, dass das Projekt ernst genommen wird. So ernst sogar, dass die Stadt Duisburg ihren Einwohnern mittlerweile behilflich ist, eigene Messstationen zu bauen und die Daten an das Luftdaten-Netzwerk zu senden.
Der Kritik ist sich Lundelius bewusst, vor allem, dass der Sensor unter bestimmten Bedingungen keine belastbaren – oder mindestens geeichten – Daten erstellt. Doch er gibt zu Bedenken: „In der Metropolregion Hamburg gibt es für die Messung von Feinstaub knapp ein Dutzend Messstation, das ist viel zu wenig.“ Auch wenn die selbstgebastelten Messstationen eventuell ungenaue Daten lieferten, so könne man bei der Menge an Daten die Statistiken leichter bereinigen. „Am Ende trifft die Politik anhand von wenigen Messstationen Entscheidungen, das kann ich nicht verstehen.“ Wenn bei einem zukünftigen Dieselfahrverbot die Autos durch die Nebenstraßen fahren, bekomme das keine Messstation mit, ärgert er sich. Auf der Stresemannstraße ist die Luft sauberer, auf den Umwegen allerdings nicht.