Privattheatertage eröffneten mit „Ghetto“
Am 19. Juni haben die 7. Privattheatertage Eröffnung gefeiert. Mit der Wahl des Stückes „Ghetto“ von Joshua Sobol als Eröffnungsinszenierung setzte das Festival ein starkes Zeichen.
Von Nele DeutschmannZum 7. Mal werden vom 19. Juni bis 1. Juli die bundesweiten Privattheatertage in Hamburg ausgerichtet. Zwölf herausragende Produktionen aus ganz Deutschland, die im Vorfeld von einer Jury aus allen Bewerbungen ausgewählt wurden, treten im Wettbewerb um den Monica Bleibtreu Preis gegeneinander an.
Ganz bewusst habe sich die Jury dazu entschieden, die Produktion des Wolfgang Borchert Theater Münster, das in der Kategorie Drama antritt, an den Anfang zu stellen. Es sei ein Garant für Qualität und habe in der Breite und Tiefe überzeugt, so Martin Woestmeyer vom Thalia Theater im Vorfeld.
Das Borchert Theater hat bereits 2016 mit „Was ihr wollt“ einen Monica Bleibtreu Preis gewonnen. In diesem Jahr sind nicht nur die Schauspieler aus Münster angereist, sondern das ganze Haus ist beteiligt. Selbst die Techniker stehen auf der Bühne – nebst einem dreißigköpfigen Kinderchor.
„Auf dem Friedhof spielt man kein Theater“
Unter der Regie von Meinhard Zanger erzählt das Stück nach einer wahren Begebenheit Geschichten aus dem jüdischen Ghetto von Wilna im Jahr 1942. Jakob Gens (Jürgen Lorenzen), Chef der jüdischen Ghettopolizei, arrangiert sich mit dem SS-Führer Hans Kittel. Seine Hoffnung: Die Menschen arbeiten lassen, um sie unabdingbar zu machen. „Arbeiten, um zu überleben.”
Um vermeintlich rettende Arbeitsplätze zu schaffen und die Moral hochzuhalten, lässt er ein Theater gründen. Das stößt unter den Bewohnern des Ghettos nicht nur auf Zustimmung. Darf man unter solchen Umständen noch Kunst machen? „Auf dem Friedhof spielt man kein Theater“. Ethische Dilemma werden durchexerziert. Gens muss immer wieder fragwürdige Entscheidungen treffen.
Die Bewohner sind der Willkür des SS-Offiziers Kittel (Bernd Reheuser) ausgeliefert, ein zynischer Sadist, der jüdischen Humor, Jazz und Gershwin liebt. Gnadenlos spielt er mit den Ängsten der Menschen, lässt sie wie Puppen zu seinem Vergnügen tanzen.
Mit schwungvoller Klezmer-Musik (grandios gesungen von Jannike Schubert) begegnen die Ghettobewohner dem mörderischen Wahnsinn. In einem Moment spielen sie im wahrsten Sinne um ihr Überleben, im anderen Moment eint sie die Musik, gibt Kraft und Stolz.
Ethische Dilemma
Seit Peter Zadeks Inszenierung hat sich in Hamburg niemand mehr an den Stoff gewagt. Sobol überarbeitete das Stück nach der Erstaufführung, zeichnete Figuren stärker, arbeitete die Problematik pointierter heraus, die sich aus dem Zwiespalt ergab, dem sich die jüdische Selbstverwaltung in Ghettos (nicht nur in Wilna) stellen musste: Widerstand oder Zusammenarbeit mit dem Feind – was konnte mehr Menschen retten?
Das Stück stellt sich schwierigen Fragen. Was ist in Zeiten, in denen es um das reine Überleben geht, erlaubt? „Die Geschichte wird urteilen, was dem jüdischen Volk besser gedient hat – du mit deinem Idealismus oder ich“, ruft Gens aus.
Schaufenster der Privattheater
Der Abend bildete den Auftakt zu einem bunten Angebot an Inszenierungen, die in den nächsten zwei Wochen zu sehen sein werden. Über 138.000 Kilometer legte eine neunköpfige Jury aus Theaterexperten im Vorfeld zurück, um alle Bewerberinszenierungen zu besuchen und daraus die besten Produktionen auszuwählen.
In den drei Kategorien Komödie, (Moderner) Klassiker, (Zeitgenössisches) Drama treten jeweils vier Stücke gegeneinander an. Von Stücken mit psychologischen Tiefgang bis zu guter Unterhaltung sei alles dabei, so Intendant Axel Schneider in seiner Eröffnungsrede. Am 1. Juli enden die Privattheatertage mit einer Gala in den Hamburger Kammerspielen.
Hier findet ihr eine Übersicht der Inszenierungen mit ihren jeweiligen Spielstätten.