Abtritt von der Bühne
27 Jahre war Eberhard Gugel Besitzer des „Logo“. Jetzt hat er den legendären Club verkauft. Ein Rückblick auf drei Jahrzehnte Sex, Drugs & BWL.
Von Alana TongersEberhard Gugel hat die Zahlen satt. Die auf dem Bildschirm vor und in den Aktenordnern hinter ihm. Steuern, Lohnabrechnungen, Corona-Hilfen. Die letzten zwei Jahre habe er sich gefühlt wie ein Verwaltungsangestellter, nicht wie ein Clubbetreiber.
Ein Sachbearbeiter im schwarzen Hoodie statt weißem Hemd, mit Piercing im Ohr und rauher Stimme, die von langen Konzertnächten erzählt. Er dreht das Ordner-Karussell. Einen Schreibtischjob, genau das wollte er nie.
Aber da sind noch die anderen Zahlen. Und erzählt Gugel von ihnen, dann strahlt er. Der 8. Januar 1977: Elvis’ Geburtstag und sein erstes Konzert im Logo. Der 6. September: der Geburtstag des Logo. Der 1. Januar 1994, sein Partner und er übernehmen das Logo. „27 Jahre”, sagt er und nickt. 27 Jahre war Eberhard Gugel das Logo und das Logo Eberhard Gugel. Der Club, sagt er, sei seine DNA.
Wo Bass und Drums zu leise waren
Dass er es einmal so lange an einem Ort aushalten würde, hätte er nicht gedacht. 17 Jahre tourt er mit verschiedensten Bands durch ganz Europa. Angefangen als Roadie, war er der, der die Instrumente vom Proberaum in den Club schleppt. Der das Schlagzeug aufbaut und die Gitarren verkabelt. Der auch mal den Tourbus fährt, wenn alle anderen zu viel Bier hatten. Das erste Mal macht er den Job im Logo 1977, bei einem Konzert der Rockband Bockrock. Da studiert er nebenbei noch BWL. Tagsüber an der Uni, abends auf Konzerten – das war der Plan. Doch die Tourneen werden länger, mehrere Monate ist er in Italien unterwegs. Als er zurückkommt, liegen vier Briefe von der Uni auf dem Tisch.
Einer, der eine Einschreibegebühr von 30 Mark fordert. Eine erste Mahnung. Eine zweite. Die Exmatrikulation. Wenn das so ist, denkt sich Gugel, fahr ich halt wieder los. Ab da ist er rund 300 Tage im Jahr unterwegs. Lernt Tontechnik, übernimmt Tournee-Leitungen, fährt auch mal einen LKW. Oft für Rockbands. Einmal ist er mit dem Russischen Staatsballett unterwegs. Ist aber nicht so seins. „Das war für mich tödlich langweilig”, sagt er. „Ich finde, die Bassdrum ist zu leise gemischt, der Bass groovt nicht – ich werd das nie verstehen.” Wenn er unterwegs mal einen freien Tag hat, sucht er nach einem Rock-Club. „Ne richtige Band angucken!” Er lacht laut.
„Da ist der Tod drin”
Irgendwann hat er von der ständigen Rastlosigkeit genug, fängt wieder an, Konzerte in Hamburg zu organisieren. Und dann, Anfang der 90er, soll das Logo verkauft werden. Der Club, in dem Gugel das erste Mal auf einer Bühne arbeitete. Er tut sich mit Karsten Schölermann zusammen, der damals das Knust betreibt.
Es ist der 18. Geburtstag des Logo, und auf der Bühne stirbt der Schlagzeuger der Band während des Konzerts. Herzinfarkt. „Das können wir nicht machen”, meint Schölermann danach zu Gugel. „Da ist der Tod drin!” Eberhard Gugel ist da pragmatischer. „Pass mal auf”, sagt er. „Wenn man da einmal ordentlich durchfeudelt, die Wand neu streicht und lüftet – dann geht das wieder.” So werden die beiden zu Clubbesitzern.
Gwen Stefani unter der Decke, Oasis unter aller Kanone
Sie schmeißen das Mobiliar aus dem Laden, Rock’n’Roll, das geht nicht im Sitzen. Von da an ist das Logo ein reiner Musikclub. Er gilt als Ausbildungsbetrieb der Szene, gefühlt haben hier alle schon einmal gespielt. Die Sportfreunde Stiller, Rammstein, The White Stripes. Eberhard Gugel kann sich an fast jedes Konzert erinnern.
An die skurrilen Momente: Als der Sänger der Punkband Die Kassierer während des Konzerts auf die Bühne kackt. An die wilden Konzerte: Als die junge Gwen Stefani mit No Doubt im Logo spielt und so ekstatisch springt, dass sie unter der Decke zu kleben scheint. Und an die Bands, bei denen er sich dachte: Dankeschön, das brauchen wir nie wieder.
Etwa als fünf Jungs aus Manchester in der Grindelallee spielen. „Da stehen ein paar schlecht gelaunte Musiker auf der Bühne, spielen 40 Minuten schlechte Musik mit ungestimmten Gitarren, sind komplett angepisst und gehen wieder.” Auch das Publikum möchte keine Zugabe. Vor der Tür zwischen Zigarettenrauch und klirrenden Bierflaschen dann das Geraune: „Also das waren jetzt diese berühmten Oasis? Das war aber scheiße.” Drei Monate später spielen sie vor ausverkaufter Markthalle. Gugel zuckt mit den Schultern. So kann’s gehen.
Das Logo in der Pandemie
Und dann eben diese letzten zwei Jahre. Verschobene Konzerte, unklare Ansagen des Senats, die ungewisse Zukunft. „Den Konjunktiv konnte ich nicht mehr hören”, sagt er. Die Pandemie hat an ihm und am Club gezehrt. Von Rock’n’Roll bleibt am Schreibtisch zwischen Papierbergen und leeren Kaffeetassen nicht viel übrig. Nur weil die Fans des Logo 80.000 Euro sammelten, hat der Club die Pandemie überstanden. Letzten Sommer trifft Gugel die Entscheidung, seine Anteile zu verkaufen. „Ich will keinen Antrag mehr stellen. Nee, jetzt ist gut.” Es fällt ihm leicht.
Er bekommt etliche Angebote von Investoren für das begehrte Grundstück. Sie alle wollen den Club abreißen, ein mehrstöckiges Gebäude in die Grindelallee setzen.
„Es hat überraschenderweise nicht weh getan.”
Schließlich entscheidet sich Miteigentümer Schölermann, das Logo zu kaufen, der ehemalige Mitarbeiter Chris August und die ehemalige Auszubildende Lea Goltz übernehmen die Geschäftsleitung. 10.000 weitere Jahre Logo, das ist ihr Ziel. Damit das funktioniert, hat Gugel seine Anteile unter Wert verkauft. Er hat darüber nicht lange nachgedacht. Eberhard Gugel wohnt direkt nebenan. Abends geht er oft einfach so in den Club, ohne Jacke, manchmal in Flipflops. Mag sein, dass das Logo als Wohnzimmer der Hamburger Musikszene gilt. Für Gugel ist es das wirklich. Das Logo war nie nur sein Arbeitsplatz.
Ende März öffnete der Club zum ersten Mal seit über zwei Jahren. Die Hamburger Band i-Fire spielt Reggae, der Bass laut, Bier aus der Flasche, springende Menschen vor der Bühne. Und da steht Gugel, im Publikum, wie er es auch sonst an einem freien Tag tun würde. Wie sich das erste Konzert ohne ihn als Betreiber angefühlt hat? „Es war schön”, sagt er, überlegt kurz, lächelt. „Es hat überraschenderweise nicht weh getan.” Er will noch bleiben, bis alles rund läuft. Dann möchte er wieder mehr von der Welt sehen – er hat sich einen extra dicken Reisepass besorgt. Nach 27 Jahren Logo geht es zurück zur Umtriebigkeit.