„Andere Welten“ schließt nach 37 Jahren
Im Juni schließt sich das Portal zu einem Eimsbütteler Paralleluniversum: Nach über dreißig Jahren macht der Science-Fiction- und Fantasy-Laden „Andere Welten“ in der Grindelallee zu.
Von Alana Tongers„Hier hängt ein Raumschiff, das vor 50 Jahren über die Leinwand flog.“ Richard Meyer zeigt auf ein Modell aus dem Science-Fiction-Klassiker „Odyssee im Weltraum: 2001“, das über dem Verkaufstresen von Andere Welten schwebt. Er lächelt. Auch mit 72 Jahren hat Meyers Leidenschaft für seinen Job nicht nachgelassen. Auf dem Weg zur Arbeit liest er jeden Tag Science-Fiction-Romane. Und wenn er im Laden steht, diskutiert er mit Kunden den neuesten Star Wars-Film. Oder er schlüpft in die Rolle des Harry Potter-Charakters „Ollivander“, wenn ein Kind seinen ersten Zauberstab bei ihm kauft.
Aber die Entwicklungen der letzten Jahre stimmen ihn nachdenklich. „Wir haben das Wundern verlernt“, findet der Ladeninhaber. Im Juni dieses Jahres schließt er sein Geschäft für Science-Fiction- und Fantasy-Artikel nach 37 Jahren.
20 Quadratmeter Sammlerparadies
1983 eröffnet Meyer Andere Welten in der Rappstraße, nur wenige Meter vom jetzigen Standort entfernt. Seine Sammelleidenschaft für Science-Fiction-Romane überflutet damals seine eigenen vier Wände. Die Bücher stapeln sich meterhoch auf dem Fußboden. „Irgendwann wollte sich meine Frau wieder frei in unserer Wohnung bewegen können“, lacht Meyer. So richtet er auf 20 Quadratmetern seinen ersten Laden ein und konzentriert sich zu Beginn auf gebrauchte und vergriffene Science-Fiction-Literatur.
Dann ergreift die Star Trek-Welle das Land. „Deutschland war in den 90ern ein ‚Raumschiff Enterprise'“, erinnert sich Meyer. Die Nachfrage nach Fanartikeln steigt; er beginnt, aus Amerika zu importieren. Über einen Versandhandel vertreibt er die Ware in ganz Deutschland. Mit zwischenzeitlich 15 Mitarbeitern bastelt Meyer Bestelllisten, während er in Teilzeit als Krankenpfleger arbeitet. Nachts Kataloge im Krankenhaus kopieren, tagsüber Raumschiffe und vulkanische Ohren verschicken. Doch irgendwann wird aus dem Hobby ein Vollzeitjob.
„Der Einzelhandel hat keine Zukunft“
Seit 1994 ist Andere Welten in der Grindelallee zu Hause. Schon lange gibt es nicht mehr nur Bücher – von Lichtschwertern und Zauberstäben über R2D2-Keksdosen und rare Filme aus den 50ern bietet Meyer alles an, was das Fanherz höher schlagen lässt. Das breite Angebot lockt verschiedenste Kunden: Es kommen viele Kinder, die gerade Harry Potter oder Star Wars für sich entdeckt haben. „Die rennen rein und sagen: ‚Ich bin im Paradies!'“, erzählt Petra Hafemeister-Meyer, die Geschäftsführerin des Ladens. Ihr Mann schmunzelt. „Das sagen auch Erwachsene“, antwortet er. Die ältere Generation schwelge beim Durchstöbern von Filmplakaten und alten Raumschiffmodellen in Nostalgie.
„Wo soll Magie stattfinden, wenn nicht in solchen Läden?“
Richard Meyer, Inhaber von „Andere Welten“
Aber die Branche hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Mittlerweile bestimmen Amazon und Ebay den Markt. „Wir verlieren jeden Tag Kunden“, erzählt Meyer. Das Paar hat über die Jahre erlebt, wie in der Grindelallee immer mehr Läden den Kampf gegen die Internet-Riesen verlieren. „In zehn Jahren wird es den Einzelhandel nicht mehr geben“, so die Prophezeiung der Meyers. Auch Andere Welten hat seit Jahren mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen. Immer mehr Kunden bestellen im Internet. Jammern will Richard Meyer trotzdem nicht. Als Science-Fiction-Experte weiß er: Das ist nun mal die Zukunft. Aber traurig stimmt ihn die Entwicklung schon: „Wo soll Magie stattfinden, wenn nicht in solchen Läden?“
Kein Nachfolger für „Andere Welten“
Mittlerweile fehlt dem Paar die Energie, um den Laden noch einmal fit für die Zukunft zu machen. Beide arbeiten sechs Tage die Woche, teilweise 14 Stunden am Stück. Seit zehn Jahren haben sie keinen Urlaub mehr gemacht. Gerne hätten sie den Laden in andere Hände abgegeben: Zwei Jahre suchten sie nach einem Nachfolger für ihr Lebenswerk. Obwohl es Interessenten gab, konnte keiner die finanziellen Mittel für die Übernahme aufbringen. Der Abschied fällt ihnen schwer. „Es tut weh, unsere Kunden alleine zu lassen“, erzählt Petra Hafemeister-Meyer.
Es mischt sich aber auch Vorfreude in den Abschiedsschmerz. Das Paar will mehr Zeit miteinander und ihrem Enkelkind verbringen. Und all die Dinge nachholen, für die in den Jahren als Ladeninhaber keine Zeit war.
Es war einmal vor langer Zeit, in einer weit, weit entfernten Galaxis
Was bleibt, sind die schönen Erinnerungen aus über drei Jahrzehnten Andere Welten. Die Meyers haben ein intensives Verhältnis zu vielen ihrer Kunden – einige kommen schon in dritter Generation. Zum 25-jährigen Jubiläum besuchte ein Stammkunde mit seinem Enkelkind den Laden. Das Kind hatte sich als Darth Vader verkleidet und sprintete die Straße Richtung Andere Welten hinunter – wie schon sein Vater und Großvater vor ihm. Im Hintergrund lief die berühmte Star Wars-Melodie. Das habe sie sehr berührt, erzählt Hafemeister-Meyer. Der Blick ihres Mannes schweift durch den Laden. „Wir sind hier immer glücklich gewesen“, sagt er.
Bevor das Ladengeschäft im Juni schließt, wird Andere Welten noch einen letzten Star Wars-Tag veranstalten, bei dem Kunden im Kostüm ihre Filmhelden feiern. Auch ein großer Ausverkauf ist geplant. Dann heißt es für die Meyers ausräumen und einlagern. Ganz verschwinden wird Andere Welten aber nicht. Richard Meyer und seine Frau werden weiter über ihre Website verkaufen und auf Facebook aktiv bleiben.
Das Ladengeschäft aber wird fehlen. Wenn das Paar mit seiner Prognose für den Einzelhandel recht behält, bekommt ein berühmter Satz aus dem Star Wars-Universum bald eine neue Bedeutung: „Es war einmal vor langer Zeit, in einer weit, weit entfernten Galaxis…“
Andere Welten, Grindelallee 77
Das könnte Sie auch interessieren: weitere Neueröffnungen und Schließungen in Eimsbüttel