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Er hat viel erlebt und noch mehr zu erzählen. Claus Günther wuchs im Nationalsozialismus auf. Heute gibt er seine Erinnerungen als Zeitzeuge weiter – auch auf der Bühne. Über Deutschlands (vermutlich) ältesten Poetry Slammer.
Claus Günther ist Poetry Slammer und Autor. Hier zeigt er sein Buch "Heile, heile Hitler". Foto: Julia Haas
Magazin #29

Erst Rente, dann Bühne: Poetry Slammer Claus Günther

Er hat viel erlebt und noch mehr zu erzählen. Claus Günther wuchs im Nationalsozialismus auf. Heute gibt er seine Erinnerungen als Zeitzeuge weiter – auch auf der Bühne. Über Deutschlands (vermutlich) ältesten Poetry Slammer.

Von Julia Haas

Eigentlich wollte Claus Günther Journalist werden – mit Texten Menschen erreichen. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg beim Springer-Verlag anklopft, bleiben die Türen verschlossen. Ohne Abitur kein Volontariat. Seinen Traum gibt Günther nicht auf. Heute schreibt er eigene Texte – und geht damit auf die Bühne. Mit 91 Jahren zählt er zu den ältesten Poetry Slammern Deutschlands.

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Als Kind in der Nazizeit

Claus Günther ist Zeitzeuge, Au­tor, Poetry Slammer – und Rentner. „Heute bin ich wahrscheinlich fleißiger als früher”, sagt Günther, der seit den 60ern in Stellingen lebt. Sein Ziel: an eine Zeit erinnern, die droht, vergessen zu werden.

1931 kommt Günther in Harburg zur Welt. Er erlebt die Nazizeit durch die Augen eines Kindes. Am Abend des 10. November 1938 beobachtet er durchs Fenster, wie sich der Himmel rot färbt. Wenig später, wie sein Vater als Fahnenträger eine Truppe der Sturmabteilung zur Synagoge führt. Stolz sei er damals gewesen – nichtsahnend vom Ausmaß der Reichspogromnacht, die Harburg einen Tag später als das restliche Deutschland erreichte.

Jung geblieben

Mit 19 Jahren beendet Günther die Schule. Das Zuhause ausgebombt, der Vater in Kriegsgefangenschaft, sieht er nach der Mittleren Reife keinen Sinn darin, weiterzulernen. Heute sagt er: „Das war dumm.” Das fehlende Abitur lässt ihn beim Axel-Springer-Verlag scheitern und seinen Traum von der Karriere als Journalist platzen.

Der 91-Jährige trägt eine blaue Schildkappe, ein Streifenhemd mit Joggingjacke darüber. In einem Café an der Kieler Straße sitzt der Poetry Slammer aufrecht am Holztisch. Vor ihm ein schwarzes Tablett mit weißer Tasse darauf. Günther steht ruckartig auf, als Milch im Kaffee fehlt. Er bückt sich hinter den Sessel, als seine Mütze runterfällt. Manchmal sagt er: „Aber ich bin über 90.” Mehr um sich selbst als andere daran zu erinnern.

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Auszüge aus Claus Günthers Text „Fundstücke“

Fundstücke waren auch Sätze wie diese:
Ach, sei doch still! Davon will doch keiner mehr was hören!
Als ich fragte: Vati, wie war das damals im Krieg?

Mit den Nazis, mit Hitler, mit den Juden?

Vom Drucken zum Schreiben

Statt Journalist wird er Schrift­setzer. Er sorgt dafür, dass die Texte der ­anderen gedruckt werden. Später wechselt er in die Werbe­branche, ­arbeitet mehrere Jahre beim Otto-Versand.

In der Rente beginnt Günther, die nationalsozialistische Vergangenheit seiner Familie aufzuarbeiten. Er tritt der Zeitzeugenbörse bei, spricht in Fernsehdokumentationen über den Nationalsozialismus, hält Erlebtes in Büchern fest.

In seinem 2016 veröffentlichten Buch „Heile, heile Hitler: Szenen einer Kindheit” schreibt Claus Günther über den Nationalsozialismus – aus der Perspektive eines Kindes, das versucht zu verstehen. Und: Günther sucht die Bühne – um Menschen mit seinen Texten zu erreichen.

Bibliotheken voller Erinnerungen

Immer wieder blättert Günther durch seine Unterlagen: ein Ordner, viele Seiten. Gefüllt mit schwarz-weiß Fotografien, Zeitungsausschnitten und handschriftlichen Aufzeichnungen. Keine zerknickte Seite, viel Sorgfalt.

Mit jedem Umblättern ploppt eine Erinnerung auf. Manche bringen ihn zum Strahlen, andere zum Grübeln, immer aber zum Erzählen. „Wenn die Alten sterben, verschwinden ganze Bibliotheken”, sagt der 91-Jährige mit fester Stimme.

Im Halbfinale der Stadtmeisterschaft beim Poetry Slam

Günther versteht es, Erlebtes für andere erfahrbar zu machen. Zum Beispiel, wenn er von seinem Besuch im „Theater im Zimmer” in den 50ern erzählt – und wie er im ganzen Theater das Licht ausknipste. Er zeigt auf seine Füße, die er bewegt, als müsste er sie aus einem imaginären Kabelsalat befreien. Günther lacht: „Ich hab die ganze Steckerleiste rausgezogen – aus Versehen.” Sein Lachen steckt an.

Seit 2003 nutzt er das für seine Bühnenauftritte. Über einen Bekannten entdeckt Günther das Poetry Slammen. Er beginnt, mit selbstverfassten Texten bei literarischen Wettbewerben in der Mathilde Bar in der Bogenstraße aufzutreten, manchmal in Ottensen. Im August erreicht er das Halbfinale der Hamburger Stadtmeisterschaften im Haus 73 auf dem Schulterblatt.

Sein Lebenselixier

Seine Auftritte als Poetry Slammer leben von seinen Erinnerungen – den heiteren und ernsten. Er erzählt von seinen jüdischen Nachbarn in Harburg, von seinem Vater, vom Krieg. Von Momenten, die er als Kind erlebte, aber erst als Erwachsener verstand.

Poetry Slam ermöglicht es Günther, sein Verstehen mit jüngeren Menschen zu teilen. Sie an eine Zeit zu erinnern, von der immer weniger erzählen können. „Das ist mein Lebenselixier”, sagt der 91-Jährige lächelnd. Jetzt macht er das, was er immer wollte: mit Texten Menschen erreichen.

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Auszüge aus Claus Günthers Text „Fundstücke“

Noch vor dem Krieg, dacht ich,
ich war ein kleiner, unschuldiger Junge,
höchstens sechs Jahre alt,
als ich den Nachbarn beschimpfte,
der seinen Judenstern mit der Aktentasche versteckte.
Itzig, itzig, Judenschwein, rief ich hinüber.
Da spürte ich eine Hand im Nacken.


Das musst du nicht tun,
raunte mir eine Stimme ins Ohr.
Das sind doch auch Menschen!
Es war der Sohn unseres Hauswirts,
vier Jahre älter als ich, der so sprach.
Nachgedacht: Ich war damals nicht sechs,
sondern zehn Jahre alt.
Ich schäme mich noch heute.

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