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Zum Glück ein fröhliches Ende Photo: Stage Entertainment/Morris Mac Matzen

Aladdin und die Flüchtlinge

Während Flüchtlinge nach Deutschland und auch Eimsbüttel kommen, hat Anfang Dezember die Europa-Premiere des Musicals “Aladdin” in der Neuen Flora stattgefunden. Wer das Stück besucht, kommt nicht umhin, die präsentierten Stereotype zu hinterfragen und zu überlegen: Wäre Aladdin aus dem fiktiven Agrabah heute als Flüchtling in Deutschland willkommen? Ein Kommentar.

Von Fabian Hennig

Fliegende Teppiche sind gerade beliebte Exportgüter. New York und Tokio haben einen. Und Hamburg jetzt auch. London und Sydney folgen nächstes Jahr. Nach Angaben von Stage Entertainment ist das Musical eines der erfolgreichsten Stücke am Broadway und seit fast einem Jahr ausverkauft. Für das deutsche Musical ist der Premierenabend ebenfalls zufriedenstellend verlaufen. Es gab Standing Ovations und das mit Prominenten bestückte Publikum war begeistert von all den farbenfrohen Kostümen, dem prachtvollen Bühnenbild und den unterhaltsamen Gesangseinlagen. Die Muscial-Metropole Hamburg ist damit um eine „orientalische“ Attraktion reicher.

Den Menschen, die gerade aus dem „Orient“ zu uns kommen, begegnet unsere Gesellschaft hingegen zu oft ganz anders als ihren singenden Stereotypen auf der Bühne. Wie Flüchtlinge und ihre Kulturen medial dargestellt werden, beeinflusst unsere Vorstellungen. Es ist Zeit, die Bilder in unseren Köpfen auf den Prüfstand zu stellen. Und auch wenn „Aladdin“ nicht politisch sein will, müssen Zuschauer einige Punkte im Hinterkopf behalten.

So stellen wir uns den „Orient“ vor 

Die Handlung von „Aladdin“ basiert auf dem Oscar-prämierten Disney-Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1992, der wiederum auf dem Märchen „Aladin und die Wunderlampe“ fußt – der Aladin mit einem „d“ aus der Sammlung „Tausendundeine Nacht“. Wohlgemerkt gehört die Geschichte um Aladin und seine Wunderlampe nicht zu den arabischen Manuskripten dieses Werks aus dem 15. Jahrhundert, sondern wurde später hinzugefügt. Verantwortlich dafür gilt der Franzose Antoine Galland, der „Tausendundeine Nacht“ als erster ins Französische übersetzte und so in Europa populär machte. Im 18. Jahrhundert ergänzte er Aladin und einige andere Geschichten zu der Sammlung, basierend auf einer mündlichen Erzählung von Hanna Diab aus Aleppo in Syrien, den er in Paris traf. Die Erzählung bietet also genau wie der Disney-Film „orientalische“ Kultur durch die „westliche“ Brille. 

Bereits bei seiner Veröffentlichung wurde „Aladdin“ kritisiert. Unter anderem die New York Times kritisierte damals „It’s Rascist, But Hey, It’s Disney“ und bezog sich dabei beispielsweise auf das Anfangslied über das Leben in Agrabah: „It’s barbaric, but hey, it’s home“. In Reaktion änderte Disney den Text einige Monate nach Veröffentlichung. Die Zeile „Where they cut of your ear, if they don’t like your face“ entfiel. Ein Einzelfall ist „Aladdin“ nicht. Wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) aufzeigt, hat das abwertende rassistische Klischee bei Disney Tradition

Ein besonderes Merkmal der stereotypen Figuren im Film sind neben der schablonenhaften Darstellung auch fremdsprachige Akzente. Die Bösen sind durch Sprache und Aussehen arabischer dargestellt, wohingegen die Guten amerikanisch anmuten. Davon abgesehen sind die gängigen „orientalischen“ Stereotype vorhanden: Kameltreiber, Bauchtänzerinnen, Schlangenbeschwörer, Fakire oder gierige Straßenhändler. Exotisch, farbenfroh, unterentwickelt. Könnte auch ein Postkartenmotiv sein.

Renaissance vom „Orient“ und dem „Abendland“ 

Doch auch unabhängig von der Berichterstattung über das Musical sind der „Orient“ und sein Pendant „Okzident“ – oder auch „Abendland“ – in die öffentliche Debatte zurückgekehrtDer Begriff „Abendland“ taucht seit vergangenem Jahr in Verbindung mit PEGIDA – den Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes – wieder auf. Die rechtspopulistische Organisation demonstriert gegen eine vermeintliche Islamisierung der westlichen Welt und die Flüchtlingspolitik Deutschlands. Die Gründer von PEGIDA setzen rhetorisch auf die Verteidigung des „Abendlands“ und benutzten die Angst vieler Menschen vor dem Ansturm „barbarischer Massen“ aus dem „Orient“.

Foto: Annika Demgen
Aladdins neuer Palast in der Neuen Flora. Foto: Annika Demgen

Dass der „Orient“ kein geografisch festgelegtes Gebiet ist und von Nordafrika, über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Indien reicht, zeigt das Problem – „den Orient“ gibt es nicht. Genauso ist „das Abendland“ ein gern benutzter Kampf- und Ausgrenzungsbegriff, der klare Grenzen annimmt, wo keine sind. Das muslimische „Morgenland“ steht für Exotik und Abenteuer, aber auch Rückständigkeit. Das „Abendland“ ist vernünftig und fortschrittlich. Das Eigene grenzt das Fremde dabei ab, ein Mechanismus des Vergleichens, Kontrastierens und Ausschließens. Bei genauerer Betrachtung sind klischeehafte Kategorien nicht haltbar, aber wirkmächtig, weil sie für viele definieren, wer sie sind. Die Grenzen und die Bestätigung derselbigen spielen gerade jetzt eine große Rolle.

„Flieg mit mir um die Welt“

In einer Musicalpassage singen Jasmin und Aladdin ein Duett darüber, wie sie sich in 100.000-Meilen-Entfernung ein neues Leben aufbauen wollen. Beide sehnen sie sich nach einem Neuanfang in einer anderen Welt, wie so viele Menschen, die sich jetzt aus Syrien, Eritrea, Afghanistan oder Mazedonien auf den Weg zu uns machen. Nach Ausklingen des letzten Tons bekommen die beiden vom Publikum begeisterten Applaus. Wären Aladdin und Jasmin reale Personen, wäre die Reaktion eine andere.

In unserer Gesellschaft haben „Araber“ entweder das Image des Bösewichten – des Terroristen – oder eben des fröhlich singenden, exotischen Abenteurers wie Aladdin einer ist. Die „Araber“, die weit weg wohnen, sind Bauchtänzerinnen und Fakire. Die „Araber“, die bei uns wohnen, ob geflohen oder nicht, sind Taschendiebe und Schwarzfahrer. Beide Gruppen gehören zur Konstruktion der „arabischen Welt“ im Mainstream unserer Medien. Das führt dazu, dass wir ganz real in unserem Alltag Menschen be- und verurteilen, obwohl die zugrunde liegenden Klischees so oberflächlich sind, dass sie auf einer Bühne besser aufgehoben sind.

Das Musical hat nicht den gleichen rassistischen Beigeschmack wie der Film. Liedtexte sind neu, das Bild des „bösen Arabers“ ist korrigiert. Im Film musste Aladdin noch um seine Hand fürchten, weil er Essen geklaut hat. Das fällt nun weg, auch wenn andere Klischees und der Kitsch geblieben sind. „Aladdin“ ist ein unterhaltsames Musical und kein Theaterstück, das sich mit politischen Fragen auseinandersetzt. Zwischen Fiktion und Realität ist zu unterscheiden. Das eine ist ein Märchen, das andere passiert vor unserer Tür. In unseren Köpfen wirkt es dennoch.

Stage Entertainment bezeichnet Aladdin selber als „charmanten Gauner“. Wahrscheinlich hätte er mit dieser Beschreibung kein Asyl in Deutschland bekommen. Gauner bekommen in Deutschland kein Aufenthaltsrecht, auch wenn sie charmant sind.

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