Bäckereien von Insolvenz bedroht: Wie ist die Lage in Eimsbüttel?
Erst Corona, jetzt die Energiekrise – die Bäckereien in Eimsbüttel schlittern von einer Krise in die nächste. Über die Auswirkungen auf die Betriebe und was sich für die Kunden verändern könnte.
Von Kristin GebhardtFrische Franzbrötchen werden aus dem Ofen gezogen – ihr Duft verbreitet sich im ganzen Raum. In der Backstube der kleinen Konditorei herrscht reges Treiben. Die Bäckerinnen und Bäcker tragen Tabletts mit Broten zu den Öfen, wälzen die einzelnen Brötchen-Rohlinge in einer Mischung aus Körnern und Saaten und platzieren sie auf einem Blech.
Der Geruch der Franzbrötchen hat inzwischen auch den Verkaufsraum erreicht. Hier werden die noch warmen Brote und Gebäcke verkauft. Bei der Eimsbütteler Kundschaft kommt das an: An Wochenenden reicht die Schlange vor der Filiale in der Lutterothstraße bis zur Straße. Was von außen nicht zu sehen ist: Wie viele andere Bäckereien kämpft auch die kleine Konditorei im Hintergrund mit Problemen.
Bäckereien müssen erneut kämpfen
Nach zwei Pandemie-geprägten Jahren scheint es für die Bäckereibetriebe kein Aufatmen zu geben. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine treten neue Herausforderungen auf: steigende Energiekosten, Rohstoffengpässe und Inflation. Dazu kommt der seit Jahren bestehende Arbeitskräftemangel.
Vor allem kleine und mittelgroße Betriebe treffen die aktuellen Krisen. Wir haben bei Bäckereien in Eimsbüttel nachgefragt, wie sie mit der Situation umgehen und welche Auswirkungen sie befürchten. Das sagen die kleine Konditorei, Backecht, der Keksbäcker und die Sören Korte Brotmanufaktur dazu.
Von einer Krise in die nächste
In der Corona-Zeit sind die Umsätze zurückgegangen, jetzt setzt sich der Trend fort. „Die Kunden kaufen weniger“, sagt Rabea Lehfeldt, Prokuristin der kleinen Konditorei. Grund dafür sei die Inflation. Seit Beginn des Sommers hätten sie die Preise für ihre Produkte immer wieder erhöhen müssen.
Möglichkeiten, die Kosten einzudämmen, gebe es kaum, sagt Lehfeldt. Zu den größten Problemen gehören die Energie- und Rohstoffpreise, die seit Februar 2022 eskaliert sind.
Pleitewelle für Bäckereien in Deutschland
Die Energiekrise zwang in den letzten Monaten mehrere Bäckereibetriebe in Deutschland, Insolvenz anzumelden. Dazu gehörten zum Beispiel Thilmann Brot in Rheinland-Pfalz, die Bäckerei Goldjunge in Bayern und die Brotmanufaktur Gaues aus Hannover. Hintergrund seien die dramatisch gestiegenen Energiekosten, sagte ein Sprecher des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks (ZDB) gegenüber Business Insider. Genaue Zahlen lägen nicht vor, da viele kleinere oder Familienunternehmen das Geschäft aufgeben, ohne Insolvenz anzumelden.
Auch Bäcker in Eimsbüttel sind von den steigenden Kosten betroffen. „Man muss in dieser Situation den Gürtel enger schnallen“, sagt Lars Neumann, Inhaber der Bäckerei Backecht. Noch seien seine Umsätze gut, doch er könne nicht anders, als die Preise anzuheben. „Sonst gibt es uns nächstes Jahr nicht mehr.“ Aufgrund der hohen Kosten mache das Geschäft trotz der Preissteigerungen weniger Umsatz.
Die Sören Korte Brotmanufaktur kämpft ebenfalls mit hohen Ausgaben für Rohstoffe und Energie, die sich auch auf das Kaufverhalten der Kunden auswirken. Das Kaufverhalten sei deutlich geschwächt, sagt Korte. Die Preise hat er noch nicht angehoben, da sein Stromvertrag und damit die alten Preise bis Ende des Jahres gelten.
Von der Energiekrise aktuell nicht betroffen ist der Inhaber des Keksbäckers, wie er gegenüber den Eimsbütteler Nachrichten mitteilte. Allerdings laufe sein Gasvertrag noch bis April zu früheren Preisen. Momentan würden zwar Großkunden weniger bei ihm bestellen, doch das Weihnachtsgeschäft laufe überraschend gut, sagt Jürgen Tandetzki.
Inflation macht Bäckereibetrieben zu schaffen
Neben den Energiekosten machen den Eimsbütteler Bäckereien vor allem die Rohstoffpreise zu schaffen. Es sind „horrende Preise“, sagt Lehfeldt von der kleinen Konditorei. Besonders Mehl, Butter, Eier, Nüsse und Saaten seien in den letzten Monaten teurer geworden.
Sie versucht, wirtschaftlich einzukaufen – also bei guten Preisen Vorräte zu kaufen. Doch das ist nicht bei allen Lebensmitteln möglich. Butter und Eier haben eine kurze Haltbarkeit und können nicht längere Zeit im Voraus besorgt werden.
Preise verdoppeln sich
Recherchen der Verbraucherzentrale ergaben, dass Butter im Oktober 2022 etwa 55 Prozent mehr als im Vorjahr kostete. Der Preis für Weizenmehl stieg um 38 Prozent.
Die steigenden Rohstoffpreise wirken sich auf die Preise am Verkaufstresen aus. Ein frisches Brötchen kostete im Dezember 2020 etwa 8 Prozent mehr als 2015. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren es im November 2022 bereits 40 Prozent.
Einsparen: „Das können wir nicht“
Angesichts steigender Ausgaben fragen sich viele Backereibetriebe, an welche Stelle sie sparen können. Dabei steht häufig im Fokus, die Energiekosten zu reduzieren. Einfach ist das aber nicht.
Obwohl die kleine Konditorei bereits eine Photovoltaikanlage auf dem Dach der Backstube nutzt, könne damit nicht einmal ein Zehntel des Verbrauchs gedeckt werden, sagt Lehfeldt. Und das, obwohl die Öfen am Standort in der Warnstedtstraße mit Gas und nicht mit Strom betrieben werden. In den anderen beiden Filialen in Eimsbüttel wird mit Elektroöfen gebacken. „Wir wissen nicht, ob wir die Elektroöfen nächstes Jahr weiter betreiben können, bei den Preisen“, sagt Lehfeldt. „Die Politik fordert Einsparen, aber das ist für uns sehr schwierig.“
Energiebedarf in Bäckereien
Etwa 60 bis 70 Prozent der Bäckereien in Deutschland nutzen Gasbacköfen, heißt es im Geschäftsbericht des ZDB 2022. „Erhalten die Betriebe weniger oder kein Gas mehr, drohen irreparable Schäden und Lücken in der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln.“
Ob Strom oder Gas – für die Öfen, Kühlschränke, Froster und Knet- und Anschlagmaschinen wird viel Energie benötigt.
Weitere Preiserhöhungen?
Was aber bedeuten die Herausforderungen in den Bäckereibetrieben für die Kunden? In der kleinen Konditorei sind die Verkaufspreise gestiegen. Für einen erhöhten Umsatz sorgt das aber nicht. Auch wenn die Kunden sagen, sie wären bereit, für gute Qualität mehr zu zahlen – im Endeffekt ist das leider nicht immer der Fall, sagt Lehfeldt. „Der Preis ist eine Schraube, die man nicht ewig weiterdrehen kann.“
Was sich für Betriebe und Kunden verändern wird
„Es bleibt weniger für die Unternehmer“, sagt Lars Neumann, Inhaber der Bäckerei Backecht. Er will die eskalierten Mehlpreise nicht vollständig an die Kunden weitergeben. Unternehmer müssten auch schlechte Zeiten überstehen, sagt er. Einige Preissteigerungen musste er trotzdem vornehmen, um sein Geschäft weiterführen zu können.
Dass die Rohstoffkosten „durch die Decke gegangen“ sind, stellt auch Tandetzki vom Keksbäcker vor Herausforderungen. Für die Weihnachtszeit habe er aufgrund der hohen Kosten weniger Saisonkräfte eingestellt. Die Preise für seine Produkte musste er erhöhen. Das Schwierigste sei aktuell das ständige Nachkalkulieren. „Preise sind eine sensible Stellschraube, man muss ständig reagieren. Denn was sind die Kunden bereit zu bezahlen?“
Der Inhaber der Sören Korte Brotmanufaktur verfolgt einen anderen Weg. Er eröffnet trotz Krise eine neue Filiale in der Hegestraße. Er hofft, mehr Kundschaft zu generieren, um weiterhin kostendeckend arbeiten zu können.
Was sagt der Staat dazu?
Die schwierigen Umstände gelten für Bäckereibetriebe deutschlandweit. Wirksame Unterstützung vom Staat habe es bisher nicht gegeben, sind sich die Eimsbütteler Bäckereien einig.
Lehfeldt ist enttäuscht: „Von der Politik gibt es Schulterzucken, warme Worte und Durchhalteparolen. Wir wünschen uns mehr.“ Statt Liquiditätsspritzen hofft sie auf nachhaltigere Maßnahmen, beispielsweise eine Senkung der Lohnsteuer oder der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Damit würde die Kaufkraft der Kunden erhöht werden.
Zentralverband für Deutsches Bäckerhandwerk ist enttäuscht
Seit Monaten fordert der ZDB für energieintensive Betriebe staatliche Hilfe. Die bisherigen Entlastungspakete hätten den Betrieben aber keine ausreichende Entlastung gebracht, sagte Michael Wippler, Präsident des ZDB, gegenüber der Deutschen Handwerks Zeitung.
Neue Regeln für 2023
Die Ergebnisse des Bundeskabinetts waren „enttäuschend“, hieß es in einer Pressemitteilung des Zentralverbands. Zwar sorgten die beschlossenen Gesetzesentwürfe für den Energiepreisdeckel für eine erste Erleichterung, aber die Härtefallregelung enttäuschte. Zu wenige Betriebe würden nach den aktuellen Regelungen als Härtefall eingestuft.
„Die Politik tut zu wenig“
Die im November beschlossenen Entlastungen werden wohl noch einige Zeit brauchen, bis sie in den Betrieben ankommen, sagt Sören Korte. Außerdem seien die Energiepreise trotz der Bremse weiterhin zu hoch.
Auch Lars Neumann von Backecht findet, dass die Politik auf Bundesebene und in Hamburg zu wenig für die kleinen bis mittelgroßen Betriebe tue. Maßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohns würden eher dazuführen, dass die Bäckereien weniger Umsatz machen.
Personalmangel im Bäckerhandwerk
Vor der Backstube der kleinen Konditorei werden die frischen Backwaren im Laden verkauft. Zwei Frauen stehen hinter dem Tresen in der Warnstedtstraße und bieten Franzbrötchen-Stücke zum Probieren an.
Lehfeldt erzählt, dass es immer schwieriger wird, Personal für die Backstuben und Filialen zu finden. Während der Lockdowns hatte sie viele Interessenten, doch zwei Jahre später herrscht Arbeitskräftemangel in der kleinen Konditorei. Eine „Vollkatastrophe“, sagt Lehfeldt.
„Die jungen Leute haben keine Lust auf Handwerk“
Während es 2020 noch 5.152 Auszubildende im Bäckerhandwerk gab, waren es 2021 nur noch 4.744. Das geht aus dem Geschäftsbericht des ZDB 2022 hervor.
Sören Korte bedauert, dass junge Leute keine Lust auf eine Ausbildung im Handwerk haben. Die kleine Konditorei ist aufgrund des Mangels zunehmend auf Minijobber angewiesen, sagt Rabea Lehfeldt.
Die kleine Konditorei blickt in die Zukunft
Wie es weitergeht, weiß niemand genau. „Wir hoffen, dass unsere Kunden nach wie vor Wert auf gute Qualität legen und nicht günstig im Supermarkt kaufen“. Denn an Rohstoffen zu sparen, kommt für Lehfeldt nicht in Frage. Sie will weiterhin qualitativ gute Backwaren in Eimsbüttel produzieren und verkaufen. Egal was im neuen Jahr kommt, eins ist für die kleine Konditorei klar: „Aufgeben ist keine Alternative.“