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Hewen Scheko und Maisaa Saloum bereiten das Catering für eine Unternehmenskantine in Rellingen vor. (v.l.)
Hewen Scheko und Maisaa Saloum bereiten das Catering für eine Unternehmenskantine in Rellingen vor. (v.l.) Foto: Vanessa Leitschuh
Magazin #21

Integration geht durch den Magen

Eine Arbeit zu finden, ist in Deutschland für geflüchtete Frauen besonders schwer. Das Projekt „Chickpeace“ bietet Perspektiven – und will mit dem Konzept eine Blaupause für andere Städte schaffen.

Von Vanessa Leitschuh

Für die einen schmeckt Heimat nach Tabouleh, frischer Petersilie, Hummus und gefüllten Weinblättern. Für andere nach Kartoffeln, Roter Beete, Rollmops und Spiegelei. Mehr als 22.000 Menschen kamen im Jahr 2015 nach Hamburg, mit wenig mehr als den Sachen, die sie tragen konnten – aber mit den Familienrezepten ihrer Heimat im Kopf.

Der Catering-Service Chickpeace bietet geflüchteten Frauen eine Chance, über die Küche ihre Heimat mit Hamburgern zu teilen – und die Möglichkeit, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. 15.450 Menschen aus Asylherkunftsländern sind in Hamburg sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nur 20 Prozent davon sind Frauen. So die Zahlen der Agentur für Arbeit vom April.

Manuela Maurer (2.v.r.) ist Initiatorin von „Chickpeace“. Foto: Frank Blümler

Betrachtet man die Zahl der Arbeitssuchenden aus diesen Ländern, ist der Anteil der Frauen dagegen vergleichsweise hoch: Von rund 10.000 Arbeitslosen waren im Oktober 40 Prozent Frauen. „Durch familiäre Verpflichtungen der Mütter ist die zeitliche und persönliche Flexibilität, um Integrations- oder Sprachkurse zu besuchen, sehr eingeschränkt”, erklärt Knut Böhrnsen, Pressesprecher der Agentur für Arbeit. Zum Teil beeinflussten aber auch kulturelle, geschlechtsspezifische oder religiöse Aspekte die Integration in den Arbeitsmarkt.

Ein Rezept für Integration

Gerade geflüchtete Frauen haben es schwer, eine Arbeit zu finden. Kinderbetreuung, Sprachbarrieren und fehlende Arbeitserfahrung sind Hürden auf dem Weg in die wirtschaftliche Unabhängigkeit. „Frauen, die in der Kultur hier ankommen wollen, aber keinen Schulabschluss oder keine Berufsausbildung mitbringen, haben große Hemmung vor dem deutschen Arbeitsmarkt”, erklärt Manuela Maurer. „Sie denken: In diesem Bürokratie-Dschungel finde ich mich nie zurecht.” Vielmehr bleibe die Perspektive, ein Leben lang vom Jobcenter abhängig zu sein. „Das ist doch furchtbar. Das sind tolle Frauen und Talente!”

Mit Chickpeace hat die Eimsbüttelerin deshalb ein Rezept für die Integration geflüchteter Frauen in der Arbeitswelt entwickelt. Ursprung von Chickpeace war ein Kochprojekt in einer Flüchtlingsunterkunft in Harburg-Heimfeld. 2015 wird die Unterkunft erstmals bezogen, vor allem von Familien, die andere für Frauen. Die Sozialarbeiterin Manuela Maurer engagierte sich als Ehrenamtliche in dem Heim, initiierte dort ein Kochprojekt: die Buffet-Begegnungen.

Foto: Vanessa Leitschuh

Wöchentlich trafen sich fünf Frauen aus der Unterkunft mit fünf Hamburgerinnen und kochten miteinander. Eine „Chefköchin” plante, welches landestypische Gericht auf den Tisch kam. „Wir konnten uns am Anfang alle nicht über die Sprache verständigen”, erinnert sich Maurer. Aber Essen ist eine Sprache für sich. Und so entfalteten sich beim gemeinsamen Kartoffelkochen oder Hummusrühren nicht nur neue Geschmackswelten, sondern immer neue Wörter, aus denen bald Geschichten wurden.

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Chickpeace

ist eine Initiative des Eimsbütteler PONTON 3 e.V., eines gemeinnützigen Vereins für soziale Projekte. Sozialarbeiterin Manuela Maurer gründete den Verein vor zehn Jahren zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements.

„Integration findet beiderseitig statt“

Fast zwei Jahre kochen die Frauen in wechselnden Gruppen füreinander. „Bis aus dem Netzwerk des PONTON 3 e.V. jemand fragt, ob wir auch für andere kochen”, erzählt Maurer. Die Frauen haben ihren ersten Auftrag: das Catering für ein Sommerfest. Chickpeace war geboren.

Nach eineinhalb Jahren ohne feste Küche oder Lager bezieht das Team im Frühjahr 2018 eine Küche in Altona. „Endlich mussten wir nicht mehr wegen jeder Zitrone einkaufen fahren.“

Heute gehören 25 Frauen zum Team von Chickpeace. Eine Teilzeitkraft im Büro regelt die Kommunikation mit den Kunden. Was die Arbeit in der Küche betrifft, verwalten sich die Frauen selbst. Die Planung übernimmt vor allem Maisaa Saloum: Sie organisiert den Einkauf, teilt die Köchinnen im Dienstplan ein, steht selbst in der Küche. Saloum kam 2015 aus Aleppo nach Deutschland, heute lebt die 33-jährige Syrerin mit ihrem Mann und drei Kindern in Wedel. „Wir haben keine Ausbildung zu Köchinnen, aber wir haben viel Erfahrung”, sagt Saloum.

Von Falafel bis zu Granatapfelkernen

Heute kochen sie und ihre Kollegin Hewen Scheko für einen Kunden in Rellingen arabische Salate und Mezze für 80 Personen. Sie drapieren sesambesprenkelte Falafel, zupfen frische Minze, streuen Granatapfelkerne über pikante Paprikacreme. Sie greifen nach den Zutaten, wie ein Maler den Pinsel zielsicher in die richtige Farbe taucht. So entstehen aus Kichererbsenpaste und Auberginencreme bunte Kunstwerke.

Maisaa Saloum präsentiert die fertigen Speisen. „Dem kreativen Ausdruck sind keine Grenzen gesetzt. Es sieht immer anders aus”,
schwärmt Chickpeace-Initiatorin Manuela Maurer von den Gerichten der Frauen. Foto: Vanessa Leitschuh

Und wie ein Kunstwerk erzählen auch die Speisen Geschichten. Aus welcher Legende ist dieses Gericht entstanden? Mit welchem Feiertag hat jene Speise zu tun? Woher stammt der Name davon? „Wir sind ein interkulturelles Catering, und Integration findet beiderseitig statt”, sagt Maurer. Die Sambose zum Beispiel ist eine Teigtasche, die in Somalia zu besonderen Anlässen wie der Geburt eines Kindes gemacht wird. „So wird den Kunden klar, dass die Gerichte ein Festtagsschmaus und kein Alltagsessen sind.”

Perspektiven aus der Küche

Maisaa Saloum ist eine der vier Frauen, die Chickpeace bald in Vollzeit anstellen will. Vier weitere Frauen sind auf dem Weg in einen Minijob. Sie alle sehen ihre Zukunft bei Chickpeace. Für den Rest ist das Projekt eine Möglichkeit, erste Erfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu sammeln und herauszufinden, was es heißt, in Deutschland zu arbeiten.

Viele sind schon nicht mehr dabei. „So haben wir es auch immer verstanden: als Sprungbrett”, so Maurer. Mit dem Ziel, den Frauen in die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu helfen. „Wir hätten sagen können: Mensch, es läuft so total gut, wir frieren es mit diesen Jahresumsätzen ein”, erklärt Maurer. „Aber das wollen wir nicht. Chickpeace soll eine Perspektive bieten.“ Und das nicht nur für geflüchtete Frauen in Hamburg, sondern darüber hinaus. Denn Maurer und ihr Team wollen das Konzept auch in andere Regionen bringen. Erste Gespräche gab es bereits.

Blick über den Tellerrand

Ein Catering-Service, der innerhalb weniger Jahre einen Kundenstamm von 450 Kunden in Hamburg aufgebaut hat – hauptsächlich über Empfehlungen und obwohl keine der Köchinnen eine gastronomische Ausbildung hat. Ein Integrationsprojekt, das geflüchteten Frauen den Einstieg in die Arbeitswelt ermöglicht und das Ankommen in einem fremden Land. Ein Unternehmen, das sich aus dem Nichts aufgebaut hat und fast koplett über eigene Einnahmen finanziert. Es ist die unglaubliche Erfolgsgeschichte eines jungen Projekts, das über den Tellerrand hinausschaut.

Jedenfalls in einer heilen Welt. Denn Corona ist auch für Chickpeace ein Rückschlag. „Wir hatten ein tolles Jahr 2019 und waren im Frühjahr dabei, mit den ersten Frauen über voll sozialversicherungspflichtige Verhältnisse zu sprechen – das Härteste für uns alle war, das emotional zu verkraften”, so Maurer. Hätte Chickpeace an den Erfolg des letzten Jahres anknüpfen können, wäre 2020 die Blaupause für zwei neue Standorte entstanden. Stattdessen waren die Frauen mit Kindern und Homeschooling beschäftigt. Die weite Anreise mit Bus und Bahn war für viele ein Risiko. Nicht zuletzt fehlte auch die Nachfrage nach Caterings. „Aber wir sind Kämpfer, wir halten durch.”

In der Chickpeace-Küche in Altona entstehen nicht nur Caterings: Für Weihnachten hat das Team drei Menüs zusammengestellt, die sich jeder nach Hause liefern lassen kann. Foto: Chickpeace

Als Nachspeise gibt es dazu Orangenkuchen. Foto: Chickpeace

Und so schmiedet das Team weiter Pläne. Maisaa Saloum und eine ihrer Kolleginnen sind bald mit dem Führerschein fertig, sodass sie die Speisen selbst ausfahren können statt über den Kurier. Eine ausgebildete Köchin soll das Team unterstützen und mit den Frauen gemeinsam auf Spurensuche nach neuen Rezepten gehen. Für Weihnachten stellt Chickpeace ein besonderes Menü zusammen, das sich jeder nach Hause bestellen kann – oder zur Großmutter ins Seniorenheim, die man zu diesem Weihnachtsfest vielleicht nicht sehen kann. In der Küche von Chickpeace geht es jedenfalls weiter, Stück für Stück, häppchenweise.

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