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Verena Barchfeld bei einem Einsatz mit Medical Volunteers International. Foto: RefocusMediaLabs
Verena Barchfeld bei einem Einsatz mit Medical Volunteers International. Foto: RefocusMediaLabs
Magazin #31

Hilfe für Geflüchtete: Eimsbütteler Ärztin bei Medical Volunteers

Anfang 2020 entscheidet die ­Eimsbütteler Ärztin Verena Barchfeld, dorthin zu gehen, wo alle weg wollen. Mit der Hamburger NGO Medical Volunteers International half sie auf Lesbos, Geflüchtete zu versorgen.

Von Alana Tongers

Der Ort, an dem niemand sein will, ist mit Bauzäunen abgesperrt. Ein Gefängnis ­zwischen Olivenhainen und Meeresbuchten. Nur, dass hier keine Verbrecher eingesperrt sind. Sondern Menschen, die ­ihre Heimat verlassen mussten. Die auf der Suche nach Sicherheit waren, und nun ­zwischen Zelten, Leid und Stacheldraht auf Lesbos festsitzen.

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Verena Barchfeld ist eine der wenigen, die das Camp jederzeit verlassen können. Zurück in den Flieger nach Hamburg, zurück in ihren Alltag zwischen Klinik und Altbau. Sie ist freiwillig als „Medical Volunteer” auf Lesbos.

Wo aus Vertriebenen Vergessene werden

Anfang 2020 entschied sich Barchfeld, mit der Organisation Medical Volunteers International (MVI) nach Lesbos zu gehen. Von der Hamburger NGO hatte sie über Freundinnen erfahren. Barchfeld ist Ärztin, Anfang 30, damals in der Facharztausbildung zur Internistin. Und will etwas tun. „Hinfahren und helfen ist für mich einfacher auszuhalten, als wegzuschauen.”

Medical Volunteers gibt es seit 2016. Die Orga­nisation wurde in Hamburg gegründet und kümmert sich um die medizinische Grundversorgung von Geflüchteten, die in prekären Situationen leben. Dafür ist MVI vor allem an den Außengrenzen der EU im Einsatz. Dort, wo Vertriebene zu Vergessenen werden und Hilfe besonders notwendig ist. 48.000 Menschen behandeln sie jährlich. Seit 2017 ist die NGO auf Lesbos.

Im Februar 2020 kommt Barchfeld auf Lesbos an. Es ist Winter, die Insel ist kalt und grau. Mehr als 40.000 Geflüchtete leben zu diesem Zeitpunkt hier und auf den umliegenden ägäischen Inseln, berichtet die Zeit ­damals. Eigentlich gebe es nur Kapazitäten für 6.200 von ihnen. Entsprechend hoch ist der Bedarf an medizinischer Versorgung vor Ort.

Was die Flucht mit dem Körper macht

Tagsüber arbeitet Barchfeld mit anderen Freiwilligen in einer Praxis, die MVI in einer Hütte betreibt. Geflüchtete übersetzen für die Ärztin Farsi, Dari und Arabisch. Abends liegt sie eingewickelt in mehrere Decken in ihrem Apartment. Um sie herum sind Mauern, trotzdem ist es fast zu kalt zum Schlafen. Und draußen liegen Kinder in Zelten.

Die niedrigen Temperaturen machen krank – Barchfeld und ihre Kolleginnen behandeln viele Infekte. Aber auch die Flucht hinterlässt Spuren an den Körpern, die von den Strapazen der Reisen erzählen. Schmerzen in Rücken, Knien und Nacken: Junge Menschen kommen mit orthopädischen Beschwerden zu ihnen, die sie noch gar nicht kennen sollten.

In Stase

Nicht nur Viren schwächen den Körper, sondern auch soziale Ungleichheit. Die Menschen, die Verena Barchfeld in der Holzhütte auf Lesbos behandelt, hat die Flucht krank gemacht, körperlich, seelisch. Sie sind krank, weil sie nicht den gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung haben wie Menschen im Eimsbütteler Altbau. Und weil sie an keinem Ort sind, an dem sie gesund werden können. In der Medizin sollten alle gleich sein. 200 Knochen, 650 Muskeln, 79 Organe. Der Anatomie sind Grenzen, Herkunft und Einkommen egal. Dem System nicht.

Bevor Barchfeld Ende Februar nach Deutschland zurück­kehrt, merkt sie: Auf der Insel brodelt etwas. In der Medizin sprechen sie von Stase, wenn sich Flüssigkeit im Körper staut, die eigentlich in Bewegung sein sollte. Stillstand, und trotzdem ist Energie unter der Oberfläche. Moria ist in Stase: eine Patientin mit konstant schlechtem Gesundheitszustand.

Zuhause in Hamburg ist das Leben weitergegangen, und die Welt wirkt heil. Für Verena Barchfeld fühlt sich das falsch an: Die Welt ist nicht heil, sie ist kaputt, und die Risse ziehen sich durch Europa. Das Ankommen fällt ihr schwer. Sie spricht mit ihrem Umfeld über das Erlebte, und obwohl viele zuhören, kann niemand ihre Erfahrungen teilen.

Im Hochsicherheitstrakt

Wenn Verena Barchfeld von den Dingen erzählt, die sie bedrücken, wird sie leise. Wenn es um MVI geht, hebt sich ihre Stimme plötzlich. Einmal, erinnert sie sich, haben Geflüchtete gegen die Zustände auf Lesbos demonstriert. Die Polizei ging mit Tränengas gegen sie vor. Die Freiwilligen von MVI waren da, als es andere Hilfsorganisationen nicht waren. Weil die Organisation im Vergleich zu anderen klein ist, war sie vor Ort sehr flexibel. Sie helfen dort, wo Hilfe gebraucht wird, schnell und unkompliziert. „Das hat mir gefallen.”

Kurz nach ihrem ersten Einsatz beschließt sie zurückzukehren. Im Juni 2020, mitten in der Corona-Pandemie, fliegt sie ein zweites Mal nach Lesbos. Diesmal führt sie ihr Einsatz mit MVI direkt nach Moria. In das Camp, das einmal 2.000 Menschen Schutz bieten sollte und in dem mittlerweile rund 20.000 Geflüchtete feststecken. Es ist zur zweitgrößten Stadt der Insel gewachsen. „Das zu sehen, war krass.” Bauplanen reihen sich an Zäune, reihen sich an Stacheldraht. Der Weg ins Camp führt durch einen abgesperrten Gang. „Es fühlte sich an wie ein Hochsicherheitstrakt”, erinnert sich die heute 35-Jährige.

Die Stimmung in Moria ist bedrückender

In einem provisorischen Zelt versorgen Barchfeld und die anderen Volunteers ihre Patientinnen und Patienten. Vieles ist anders als bei ihrem ersten Einsatz. Die Stimmung in Moria ist bedrückender. Sie stehen auf einem Boden aus Kieselsteinen. Zwischen den Planen staut sich die Hitze des griechischen Sommers. Mit Vorhängen haben sie Kabinen abgetrennt, um den Menschen während ihrer Behandlung etwas Privatsphäre zu gewähren. Darunter sieht sie viele Fußpaare vorbeilaufen, hört die vielen Stimmen auf der anderen Seite. 20.000 Menschen, zusammengepfercht.

Eine Rettungsweste, ein Kinderrucksack

Nicht immer sind die Behandlungen effektiv. „Wenn man die Menschen zurückschickt, in Verhältnisse, die sie krank machen…Tja…” Sie stockt, überlegt. „Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.” Trotzdem sei die medizinische Behandlung notwendig. Viele der Geflüchteten hätten das Gefühl, von allen vergessen zu sein.

Wenn die Medizinerinnen und Mediziner ihren Leiden vor Ort Gehör schenken, ist das eine wichtige Form von Fürsorge. „Das ist vielleicht eines der wenigen Dinge, die wirklich etwas bringen.” Raum geben, an einem Ort, der das eigentlich nicht zulässt.

Nach ihrem zweiten Einsatz mit MVI

Es fällt ihr und den anderen schwer, nach der Arbeit abzuschalten. Das Leid der Geflüchteten auf der Insel, die einmal ein Urlaubsort war, ist an vielen Orten sichtbar. Einmal, als Barchfeld mit anderen schwimmen gehen will, finden sie eine angespülte Rettungsweste am Strand. Ein anderes Mal einen Kinderrucksack. Moria ist überall auf Lesbos, in den Gesprächen, in den Gedanken an die Zukunft.

Ende Juni 2020 kehrt Verena Barchfeld von ihrem zweiten Einsatz mit MVI nach Hamburg zurück. In der Nacht vom 8. September 2020 brennt das Camp ab, in dem sie wenige Wochen zuvor gearbeitet hat. Über zehntausend Menschen werden obdachlos. Hilfsorganisationen hatten lange vor einem solchen Szenario gewarnt und die Räumung des Lagers gefordert. Es brodelte auf der Insel, Wut staute sich, und doch änderte sich nichts. Stase.

Die Bilder der Flam­men sind tagelang in den Zeitungen, in den ­sozialen Medien, in den Abendnachrichten. Dann sind sie weg. Und auf Lesbos’ Nachbarinsel Samos entsteht ein neues Lager. Es wird von Moria 2.0 besprochen.

Medical Volunteers: In Hamburg treffen sie sich regelmäßig

Verena Barchfeld erlebt, dass ihr Umfeld die Nachrichten anders wahrnimmt als sie selbst. „Alle fanden das schrecklich. Und dann ist es so schrecklich, wie viele schreckliche Dinge, die auf der Welt passieren.” Aber für sie ist das Thema näher, emotionaler. „Wenn man da war, fühlt man das ganz anders, möchte viel mehr darüber reden und machen.”

Bei MVI haben sie und andere Freiwillige begonnen, Regionalgruppen aufzubauen. In Hamburg treffen sie sich nun regelmäßig, sprechen über ihre Erfahrungen von Einsätzen, planen Aktionen, um Aufmerksamkeit für das Engagement der NGO zu schaffen. Auch Menschen mit Fluchterfahrung kommen, die MVI von Lesbos kennen und mittlerweile in Hamburg sind oder für die Organisation übersetzt haben.

Die Regionalgruppen sollen ein Anschlusspunkt sein. Für diejenigen, die von Einsätzen kommen und sich auf solche vorbereiten. Aber auch für alle anderen, die einen Bezug zum Thema haben.

Thema gehört zum Alltag

Inzwischen ­arbeitet Verena Barchfeld nicht mehr in ­einem Kranken­haus, ­sondern in der Poli­klinik Veddel – ­einem Stadtteil-Gesundheits­zentrum. Dort behandeln sie viele Menschen mit Migrationsgeschichte.

Auch die, die ­keine Krankenversicherung haben. Mit ihrer Arbeit will Barchfeld dort ­anknüpfen, wo sie auf Lesbos aufgehört hat: die Gesundheitsver­sorgung von Menschen ­verbessern, die schlechtere Teilhabebedingungen haben. „Das ist kein Thema, das ich weg­schiebe”, sagt sie. „Es gehört jetzt zu meinem Alltag.”

Als Verena Barchfeld das Projekt auf Lesbos unterstützte, ging es ausschließlich um die medizinische Versorgung. Mittlerweile ist es ein Mental-Health-Projekt für Kinder und Jugendliche, die im Krieg in ihrem Heimatland oder auf der Flucht psychische Trauma erleiden. Foto: Romain Kosellek

Rund 500 Medical Volunteers sind für die Hamburger NGO im Einsatz. Foto: Tessa Kraan

Seit 2017 ist MVI auf Lesbos. Foto: Tessa Kraan


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