
Erika Estis: Sie kehrte trotzdem zurück
Ihre Eltern starben in Auschwitz. Sie überlebte. Trotz der Erinnerungen kam Erika Estis immer wieder nach Hamburg und klärte über die Schrecken dieser Zeit auf. Nun ist die einstige Eimsbüttelerin verstorben.
Von Vanessa LeitschuhWenn sie an Eimsbüttel dachte, kam ihr die Christuskirche in den Sinn. Gegenüber dieser schönen Kirche stand das Haus ihrer Kindheit. Jede Woche wartete sie auf die Sonntage, damit sie dem Gong, Gong, Gong der Glocken den ganzen Tag lauschen konnte.
Das Haus, in dem sie aufwuchs, war ein Prachtbau an der Ecke Fruchtallee und Vereinsstraße. Im Erdgeschoss eine Apotheke, die ihrem Vater Paul Freundlich gehörte.
Als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, hatte es Paul Freundlich immer schwerer, seine Arbeit auszuführen. Er kämpfte, baute eine neue Apotheke, doch 1935 musste er aufgeben. “Sie wollten keine jüdischen Apotheker mehr”, erzählte Erika Estis im Interview mit den Eimsbütteler Nachrichten vor zwei Jahren. “Weil sie das gute deutsche Volk vergiften würden.”
![Die Hansa-Apotheke an der Ecke Fruchtallee und Vereinsstraße vor ihrem Umbau. [2] Auf dem unteren Bild sind Erika Estis' Schwestern mit ihrem Kinderfräulein auf der Terasse über dem Eingang des Hauses zu sehen – im Hintergrund die Christuskirche. Fotos: Privatarchiv Erika Estis](https://www.eimsbuetteler-nachrichten.de/wp-content/uploads/2021/09/Hamburg-Eimsbuettel-Hansa-Apotheke-Fruchtallee-Vereinsstrasse-1930.jpg)
Allein in der Nachbarschaft
Außer ihrer eigenen kannte Estis damals keine jüdischen Familien in der Nachbarschaft. Stattdessen zeigten die Kinder auf der Straße stolz ihre HJ-Uniformen, sangen Lieder voller Judenhass. Erst als Estis Jahre später nach Hamburg zurückkam – und sie kam viele Male zurück – traf sie andere Jüdinnen und Juden aus ihrer früheren Nachbarschaft.
Der Kindertransport rettete sie
Erika Estis schaffte es, vor den Nationalsozialisten zu fliehen. Ihre Eltern schickten sie 1938 mit einem Kindertransport nach England. Sie selbst starben in Auschwitz. Nach dem Krieg übersiedelte sie in die USA, wo ihre drei Schwestern lebten.
Sie heiratete, bekam drei Kinder und lebte bis zuletzt in dem Dorf Hastings-on-Hudson im Bundesstaat New York.
Estis kehrte oft nach Hamburg zurück, sprach über ihre Lebensgeschichte und erinnerte an die Schrecken des Nationalsozialismus.
Im Jahr 2020 erhielt Erika Estis die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Bei einer Zeremonie im Haus ihrer Tochter überreichte der deutsche Konsul ihr die Urkunde. „Ich glaube, mein Vater hätte sich gefreut. Er war in der Armee, ein Offizier – und sehr stolz darauf, Deutscher zu sein”, sagte Estis.
Im November feierte sie in New York ihren 100. Geburtstag. Nun ist die frühere Eimsbüttelerin in der Nacht vom 13. auf den 14. Januar gestorben. Sie hinterlässt drei Kinder, sieben Enkel und acht Urenkel.