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Sven Wurster ist einer von acht Revierförstern in Hamburg. „Es ist mein Traumberuf”, sagt er über seine Arbeit. Foto: Alana Tongers
Magazin #23

Niendorfer Gehege: So schallt es heraus

Was das Niendorfer Gehege über den Klimawandel verrät und warum der Wald wichtig für Eimsbüttel ist. Ein Rundgang mit Revierförster Sven Wurster.

Von Alana Tongers

Niendorf Markt. Die U2 rauscht unter dem Boden, Autos rasen am Gehweg vorbei, Tauben suchen gurrend nach Essensresten am Straßenrand. Eine Kreuzung und 500 Meter weiter ist die Welt eine andere. Da sind Rehe und Füchse zu Hause. Japanische Lärchen reihen sich an hohe Robinien. Und es ist so leise, dass man hören kann, wie der Wind einzelne Blätter streift. Eine Stille, als sei der Rest des dichtbesiedelten Eimsbüttels weggeschnitten worden.

Das Leiden des Waldes

Sven Wurster läuft in schnellem Schritt durch das Niendorfer Gehege. Er geht abseits der Wege – die Karte des Waldes ist tief in ihm verankert. Sein Blick wandert in Sekunden von einem Ast zum nächsten, ist fast immer nach oben gerichtet. Sven Wurster kann die Bäume lesen. Seit zwölf Jahren ist er Eimsbüttels Revierförster. Der Wald ist sein Freund und er sein Beschützer. Gebe es den Menschen nicht, erzählt Wurster, wäre die ganze Welt voller Wald. Aber es gibt ihn – und der Wald leidet.

Jedes Jahr fasst das Bundes­ministerium für Ernährung und Landwirtschaft dieses Leiden in der Waldzustandserhebung in Zahlen. Die Ergebnisse von 2020 gehören zu den schlechtesten seit Beginn der Aufzeichnungen 1984. Vier von fünf Bäumen haben mittlerweile lichte Kronen. Die Krone eines Baumes kann zeigen, wie gesund er ist. Sind sie voll und dicht, geht es ihm gut. Werden sie dünner und verfärben sich, ist das ein schlechtes Zeichen. Nur noch 21 Prozent der untersuchten Bäume hatten keine Kronenschäden – ein Prozent weniger als im letzten Jahr.

Im Niendorfer Gehege setzen Förster Sven Wurster und seine Kollegen bei der Durchforstung auf das „Zukunftsbaum-Konzept”. Dabei legen sie ihren Fokus auf wenige besonders starke Bäume – nämlich jene, die auch in hundert Jahren noch im Wald stehen und dessen Bestand sichern sollen. Sie sind im Niendorfer Gehege mit einem gelben Band gekennzeichnet. Fotos: Alana Tongers

Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald beklagt diese Entwicklung. Gerade große Städte wie Hamburg bräuchten den Wald – doch auch hier geht er zurück. Zwischen 2015 und 2019 hat die Waldfläche um circa 17 Hektar abgenommen – wegen „Inanspruchnahmen für andere Nutzungen” heißt es vom Senat als Antwort in einer Drucksache. Und das, obwohl Hamburg mit rund sieben Prozent Waldanteil im Bundesvergleich ohnehin schon schlecht abschneidet. Nur Bremen hat noch weniger.

Wie ein umgelegter Schalter

Wenn im Niendorfer Gehege die Sonne durch die jungen Buchenblätter strahlt, scheint das alles weit weg. Der Boden hier ist besonders nährstoffreich und die Baumarten vielfältig, erklärt Wurster. Das schützt den Wald – stirbt eine Baumart weg, kann er das vergleichsweise gut wieder ausgleichen.

Wie schnell das gehen kann, hat Sven Wurster im letzten Jahr erlebt. Es war ein trockenes Frühjahr. Zu trocken für die Sitka-Fichte, ein Baum, der ursprünglich aus Nordamerika kommt. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde er in Europa vermehrt als Nutzbaum angebaut: Die Fichten wachsen schnell und sind schmal, liefern also sehr viel Holz auf wenig Raum.

Auch im Niendorfer Gehege stehen sie, gerade gewachsen, 20 bis 25 Meter hoch. Doch nach zwei trockenen Jahren starb die Sitka-Fichte im letzten Frühjahr innerhalb weniger Wochen. Als hätte jemand an einem imaginären Steuerpult den Knopf gedrückt.

Wenn möglich, lässt Wurster Totholz im Niendorfer Gehege stehen. Es ist wichtiger Lebensraum für Insekten und Vögel. Fotos: Alana Tongers

Viele der toten Fichten stehen immer noch im Niendorfer Gehege, sind so umzingelt von gesunden, grünen Bäumen, dass sie kaum weiter auffallen. Wurster und seine Kollegen fällen nur die Totbäume, die Gefahr laufen, auf Passanten zu stürzen. Denn Totholz ist wichtiger Lebensraum für Insekten und Vögel, wie Spechte. Akurat gehämmerte Löcher verraten, dass auch in dieser Fichte einer zuhause ist. Wurster zieht sein Fernglas aus der Tasche. „Da ist ein Reh”, sagt er und zeigt durch das Dickicht. Leben und Tod liegen im Wald nah beieinander.

Mutter des Waldes

Der Förster steigt über einen umgefallenen Stamm, bahnt sich seinen Weg durch Äste und Sträucher. Dann steht er vor einem großen, breiten Baum, dessen Krone sich in alle Himmelsrichtungen erstreckt. Die Buche. Förster nennen sie auch Mutter des Waldes. „Dieser Baum hat schon gelebt, da gab es noch keine Autos”, sagt Wurster. Bis zu 600 Jahre alt kann sie werden. Die Buche steht für Konstanz im Wald. Aber was ist in zwanzig bis dreißig Jahren? „Bis dahin hat unser Klima wahrscheinlich nichts mehr mit dem Anfangsklima der Buche zu tun”, meint Wurster. Wie es ihr dann geht, weiß er nicht.

Förster Sven Wurster in seinem Revier: dem Niendorfer Gehege. Foto: Alana Tongers

„Der Wald ist existenziell für uns Menschen”, sagt Wurster. Obwohl wir ihm im Weg stehen, arbeiten Bäume unentwegt für uns. Sie speichern Tonnen an Kohlenstoff in ihrem Holz: Nach Ergebnissen der Kohlenstoffinventur 2017 entlastet der deutsche Wald die Atmosphäre jährlich um rund 62 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Und auch der Rohstoff Holz kann jede Menge Schadstoffe binden. Im Niendorfer Gehege versuchen sie deswegen so viel Holz wie möglich zu verbauen. In den Zäunen des Damwildgeheges, wo sich Kälber und Alttiere an schönen Tagen sonnen. Oder auf dem Spielplatz, der sich zwischen Laub- und Zedernbäumen auftut.

Ein letztes Aufbäumen

„Guck, das ist ein Förster”, sagt eine junge Mutter zu ihrem Sohn und zeigt auf Wurster. Sie erkennen ihn am Fernglas und am dunkelgrünen Filzhut. Er lächelt. Es gefalle ihm, so viel unter Menschen zu sein. Andere Förster, in ländlichen Regionen, sehen bei der Arbeit manchmal tagelang niemanden. Aber als Erholungsgebiet ist das Niendorfer Gehege eben nicht nur für Tiere, Pflanzen und Holzwirtschaft da, sondern vor allem auch für die Menschen. Sie entkommen hier dem Trubel Eimsbüttels: Joggen auf den Pfaden des Waldes. Lassen ihre Hunde über die Auslauffläche toben. Bringen ihren Kindern die Natur nahe. „Das Niendorfer Gehege ist Eimsbüttels grüne Lunge”, sagt Wurster. Er ist stolz darauf.

Wie ein Bogen neigen sich die Bäume am Damwildgehege. Foto: Alana Tongers

Damit dieser Ort erhalten bleibt, durchforsten er und seine Kollegen ihn mit Bedacht. Welche Bäume können bleiben, welche müssen weichen? Es sei manchmal ein Balanceakt, sagt Wurster. Auf seinen täglichen Streifzügen muss er aufmerksam sein. Geht es einem Baum schlecht, bildet er kleinere Blätter oder im schlimmsten Fall Notfrüchte.

Für Laien wirkt das positiv: Einem Baum, der blüht, muss es doch gut gehen. Sven Wurster weiß die Zeichen anders zu deuten. Trägt ein Baum früher im Jahr deutlich kleinere, verformte Früchte und Blätter, ist das nicht mehr als ein letzter Versuch, die eigene Art zu schützen. Noch einmal blühen, bevor nichts mehr geht. Als Förster bangt er mit seinen Bäumen.

Die Erfindung der Nachhaltigkeit

Noch fehlt im Niendorfer Gehege nur die Sitka-Fichte. „Aber wenn das mit Buche und Eiche auch passiert, haben wir ein Problem”, sagt Wurster. Fast wieder bei der U-Bahnstation Niendorf Markt angekommen, kommt er auf den Ursprung der Nachhaltigkeit zu sprechen. Das Wort „nachhaltig” stamme aus der Forstwirtschaft. Es wurde im frühen 18. Jahrhundert eingeführt, als Holz in Deutschland zunehmend knapp wurde, und stand für eine neue Art des Forstens: Nur so viel Holz fällen, wie auch nachwachsen kann. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Das gilt im Guten wie im Schlechten.


Foto: Alana Tongers
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