Sechs Überfälle auf „Tjaden’s“-Biomarkt: Familienvater gesteht
Unter Tränen schilderte der Angeklagte zum Prozessauftakt am Donnerstag, wie es zur Überfallserie auf die “Tjaden’s”-Biomärkte kommen konnte. Dabei ging es vor allem um Erpressungen im Drogenmilieu.
Von Christiane TauerEs war eine Raubserie, die Eimsbüttel in Atem hielt. Fünfmal hatte ein maskierter Täter den „Tjaden’s“-Biomarkt an der Fruchtallee überfallen. Ein weiteres Mal die Filiale an der Martinistraße in Eppendorf.
Am Donnerstag stand der mutmaßliche Täter nun vor Gericht. Mit tränenerstickter Stimme legte der 44-Jährige gleich zu Beginn der Verhandlung am Hamburger Landgericht ein Geständnis ab. „Ich bin der Täter“, sagte er. Was dann folgte, war eine fast einstündige Begründung seiner Taten, die noch spektakulärer war als die Taten selbst.
Zwei Biomärkte und ein Pizzaladen
Von dunklen Machenschaften im Drogenmilieu war da die Rede, von einem verstorbenen Kumpel und von dauerhaften Erpressungen, Schlägen, Drohungen und ganz viel Angst. Die Summe dessen soll dazu geführt haben, dass der Angeklagte von August 2021 bis Mai 2022 sechsmal „Tjaden’s“-Biomärkte überfiel. Einen weiteren Überfall verübte er auf einen Pizzalieferdienst in Groß Borstel – allerdings erfolglos.
Die Beute der sechs Überfälle: 4.125 Euro. Gestoppt wurde er am 9. Juni dieses Jahres. Fahnder des Mobilen Einsatzkommandos hatten ihn an der Martinistraße gefasst. Er wollte gerade seinen siebten Überfall begehen. Mit 2,3 Promille.
Drei Kinder und seit 20 Jahren verheiratet
Dem Richter schilderte der Mann am Donnerstag detailliert, wie es zur Raubserie kommen konnte. Immer wieder legte er dabei eine kurze Pause ein und räusperte sich.
Es war eine Geschichte, die nicht zu den bürgerlichen Eckdaten des graumelierten Mannes im dunkelblauen Hemd passte: drei Kinder, seit 20 Jahren verheiratet und ebenso lange in seinem Job als Bühnentechniker.
Freund starb an Überdosis Drogen
Ausgangspunkt sei der Tod einer seiner besten Freunde im Jahr 2004 gewesen, erzählte der Angeklagte. Dieser sei in die Drogenszene geraten, habe geschmuggelt und sei bei einer dieser Aktionen an einer Überdosis verstorben. Über seinen Freund habe der Familienvater aus Eimsbüttel auch die Männer kennengelernt, die ihm später zum Verhängnis werden sollten.
Dieses „später“ war 2011. „Da wollte ich mir zu Silvester Koks kaufen“, so der 44-Jährige. Zufällig geriet er dabei an die Leute, mit denen auch sein Freund zu tun gehabt hatte. Zunächst schien alles friedlich. „Ich habe erzählt, dass ich eine Familie gegründet habe – dann kippte die Stimmung“, erinnerte er sich.
5.000 Euro und eine enttäuschte Hoffnung
Die Männer hätten ihm einen Schlag in die Magengrube verpasst und eine Pistole an sein Knie gedrückt. Plötzlich hieß es, er solle das Geld beschaffen, das ihnen durch den Tod seines Freundes beim Schmuggeln „flöten gegangen“ sei.
5.000 Euro habe er daraufhin zusammengekratzt. In der Hoffnung, dass sich die Sache damit erledigt habe. Doch er sollte sich täuschen.
„Wir sind noch nicht fertig“
2018 sei er mit der U-Bahn von der Arbeit nach Hause gefahren. Als er die Treppenstufen nach oben stieg, hätten ihn dort die Männer empfangen. „Wir sind noch nicht fertig“, sollen sie gesagt haben.
In der Folge habe es immer wieder Schläge und Erpressungen gegeben. Die Männer hätten Geld gewollt, und er sollte zahlen. Angstzustände und Panikattacken hätten bei ihm eingesetzt. Er habe wieder verstärkt mit dem Trinken angefangen, was er seit 2009 gut im Griff gehabt hatte.
Ehering im Pfandhaus versetzt
Er sei zu einer Psychologin gegangen und zum Arzt, um Hilfe zu finden, berichtete er. Die wahren Gründe seiner blauen Flecken gab er nicht preis. „Ich habe gesagt, dass sie von der Arbeit stammen oder dass ich Blutverdünner nehme.“
An die Erpresser habe er mal 3.000 Euro, mal 2.500 Euro und manchmal auch nur einige Hundert Euro gezahlt. Er nahm Kredite auf, lieh sich Geld von Arbeitskollegen oder Freunden und verkaufte Silbermünzen. „Ich bin sogar an das Ersparte meiner Kinder gegangen“, sagte er schluchzend. Auch seinen Ehering versetzte er im Pfandhaus.
Biomarkt-Überfälle als letzter Ausweg
Das Problem: Die Erpresser hätten keine Ruhe gegeben. „Es war trotzdem immer zu wenig“, erinnerte er sich. Irgendwann hätten sie ihm gesagt: „Dann mach doch einen Raub.“ Der Familienvater wies das zunächst erschrocken von sich. „Aber irgendwann war ich so fertig, dass ich es gemacht habe.“ Das war im August 2021.
Mit einer Maske, die das Gesicht eines alten Mannes zeigt und die er schon zu Halloween getragen hatte, sei er losgezogen. Mit dabei hatte er eine defekte Softair-Waffe, die auf Laien täuschend echt wirkt. Sein Ziel: der nahegelegene „Tjaden’s“-Biomarkt an der Fruchtallee.
Unter Einfluss von Alkohol und Kokain
Er könne sich nicht mehr an alle Taten erinnern, berichtete er dem Richter. Das habe wohl am Alkohol gelegen oder am Kokain, das er in dieser Zeit ebenfalls verstärkt konsumiert habe. Er wisse aber noch, dass er sich in den Tagen danach äußerst schlecht gefühlt habe.
Es sei dumm von ihm gewesen zu denken, „dass das aufhört, wenn ich Geld gebe“. Er habe niemandem weh tun wollen, die Überfälle täten ihm von Herzen leid, gab der Angeklagte zu Protokoll.
Prozess gegen Biomarkt-Räuber geht weiter
Wie das Gericht den Fall bewertet, wird sich zeigen. Der Prozess gegen den Mann wird am kommenden Dienstag fortgeführt.
Insgesamt sind zehn Termine bis Mitte Dezember angesetzt. Als Strafe drohen ihm drei bis 15 Jahre Gefängnis, im minderschweren Fall ein bis zehn Jahre.