„Ein Haus voller Geschichte“ – jetzt droht der Abriss
Das Gebäude im Stellinger Steindamm 55 entstand vor über 150 Jahren. Jetzt soll es abgerissen werden. Warum sich eine Nachbarin einsetzt, das Haus unter Denkmalschutz zu stellen.
Von Julia HaasWenn das Haus sprechen könnte, hätte es vieles zu erzählen. Von der ländlichen Idylle, die das Gebäude im Stellinger Steindamm 55 einst umgab. Von Bombenangriffen, die die Nachbarschaft im Zweiten Weltkrieg zerstörten. Oder von Waschtagen, an denen sich die Anwohner und Nachbarn bis in die 1950er-Jahre am Waschkessel im Schuppen hinter dem Haus trafen.
„Das Haus steckt voller Geschichte“, sind sich die Bewohner und Nachbarn einig. Jetzt droht all das zu verschwinden.
Nachbarin setzt sich für Denkmalschutz ein
Seit 2020 gehört das Haus einem Immobilienunternehmen. Aus einem Informationsschreiben an Nachbarn geht hervor, dass das Gebäude abgerissen werden soll.
Dass ein Stück Stellinger Geschichte zerstört wird, will Helga Siegelberg nicht einfach hinnehmen. Sie wohnt nur wenige Meter entfernt und setzt sich seit Anfang des Jahres dafür ein, das Haus unter Denkmalschutz zu stellen. Bislang ohne Erfolg.
Früher ein Herrenhaus mit benachbarten Unterkunft für Arbeiter
Karten, Schriftwechsel, Fotos – Siegelberg blättert durch ihre Unterlagen. Eine blaue Mappe hält die Dokumente zusammen, die sie in den letzten Monaten gesammelt hat. Sie alle betreffen die Geschichte des Nachbarhauses, das die 79-Jährige nicht aufgeben möchte.
Siegelberg wohnt im Stellinger Steindamm 47. Früher gehörten die beiden Gebäude zusammen: Hausnummer 55 war das Herrenhaus, Hausnummer 47 das Arbeitergebäude. Schon Siegelbergs Großvater, ein Schuhmachermeister, lebte mit seiner Familie in letzterem.
Operation Gomorrha überstanden
„Erhaltenswert ist vor allem die Nummer 55“, sagt sie. Anders als ihr Wohnhaus sei das Gebäude – abgesehen von einem etwa drei Meter breiten Anbau an der Südseite – in seiner ursprünglichen Form sofort wiedererkennbar.
Selbst die Bombenangriffe in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1943, bekannt als Operation Gomorrha, hat das Haus im Stellinger Steindamm 55 unbeschadet überstanden. Das benachbarte, zweigeschossige Arbeiterhaus brannte in jener Nacht hingegen vollständig aus und wurde nur in Teilen wieder aufgebaut.
24. Juli 1943
Das Arbeiterwohnhaus grenzte an das Hotel „Gasthof zur Alten Buche“. In der Nacht vom 24. Juli 1943 schlug dort eine Bombe ein. 29 Menschen, deren Zuhause ausgebombt wurden und die deswegen im Hotel untergebracht waren, starben. Das Nachbarhaus brannte durch den Bombeneinschlag aus.
Vor 1870 erbaut
Das Haus im Stellinger Steindamm gehört zu den letzten historischen Bauten im Stadtteil, ist sich Siegelberg sicher.
Aus ihrer blauen Mappe zieht sie eine Karte. Mit einem gelben Textmarker markiert sie zuerst die Jahreszahl „1870“, dann zwei Vierecke. Es sind die heutigen Häuser im Stellinger Steindamm 55 und 47. Die preußische Übersichtskarte belegt, dass die Gebäude bereits vor Zeichnung der Karte entstanden sein müssen.
Im Besitz der Familie Ramcke
Das Herrenhaus und Arbeiterhaus entstanden auf einem Grundstück, das damals der Familie Ramcke, einer Großbauerfamilie aus Eidelstedt, gehört. 1950 wurde das Grundstück aufgeteilt. Der Stellinger Steindamm 55 blieb bis 2020 in Familienbesitz.
Erinnert an die dörfliche Geschichte
Was die Karte von 1870 auch zeigt: Der Stellinger Steindamm ist damals umgeben von Feldern. Nördlich erstreckt sich das Dorf Stellingen. Sonst nichts.
„Der zweistöckige Altbau am Stellinger Steindamm 55 erinnert bis heute an die dörfliche Geschichte des heutigen Stadtteils Stellingen“, heißt es auf der Webseite des Denkmalvereins Hamburg, eine politisch unabhängige Organisation, die die Öffentlichkeit auf das Haus und den Einsatz der Nachbarin aufmerksam machte.
Die zuständige Behörde, das Denkmalschutzamt, sieht das anders.
Stellinger Steindamm 55: Alles anders oder unverändert?
Im Februar 2023 schlägt Siegelberg dem Amt per Mail vor, das Gebäude unter Schutz zu stellen. Zwei Tage später erhält sie eine Ablehnung. Darin heißt es unter anderem, dass sich das Haus in weiten Teilen nicht gut erhalten habe. Das Volumen des Gebäudes habe sich im Laufe der Jahrzehnte sowohl in der Fläche als auch durch massive Dachausbauten erweitert.
Einschätzungen, die Siegelberg nicht teilt. Mit Luftaufnahmen versucht sie zu belegen, dass es keine Dachausbauten gab. Abgesehen von einem etwa drei Meter breiten Anbau sei das Haupthaus mit seiner ursprünglichen Form nahezu identisch.
Denkmalschutz: Amt bleibt bei Ablehnung
Immer wieder legt sie eine historische Zeichnung neben aktuelle Aufnahmen. Die Balkone, die Veranda, das Dach – außer der Fassadenfarbe scheint sich in den vergangenen 150 Jahren wenig am Gebäude verändert zu haben. Das Denkmalschutzamt reagierte auf Siegelbergs nachgereichte Ausführungen bislang nicht.
Auf Nachfrage der Eimsbütteler Nachrichten erklärt die Behörde: „Das Gebäude ist zu stark verändert, um das ländliche Stellingen dokumentieren zu können.“
„Was bleibt von der Geschichte?“
Vom Denkmalverein heißt es währenddessen: „Aus geschichtlichen Gründen wäre es dennoch wünschenswert, dass der Bau erhalten wird, weil er an die ländliche Vergangenheit Stellingens erinnert und vermutlich zu den ältesten baulichen Zeugnissen in dieser Gegend gehört.“
Siegelberg und die Hausbewohner hoffen, dass das Denkmalschutzamt seine Entscheidung überprüft und schlagen eine gemeinsame Begehung vor.
Und wenn das Amt nicht einlenkt? „Vielleicht sammeln wir Unterschriften, vielleicht finden sich andere Unterstützer“, so Siegelberg. Sie ist sich sicher: „Wenn wir all die historischen Überbleibsel einfach weghauen, bleibt nichts von unserer Geschichte erhalten.“
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