
WG-Kolumne #5: Ich erwohne eine Familie
Eine Kolumne über die Möglichkeiten alternativer Lebensentwürfe. In der Reihe “WG-Kolumne – Zwischen Windel und Gin Tonic” berichtet unsere Autorin aus ihrer Eimsbütteler Studierenden-WG: Eine Wohnung, ein Pärchen, ein Baby und sie.
Von Nele DeutschmannMeine Mitbewohnerin schwitzt, wie ich es noch nie gesehen habe. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Das ist meine WG: Sie (28), ich (26), er (27) und das Mini (2. Woche nach der Geburt).
„Dafür, dass die Schwangerschaft so problemlos verlief, machst du es jetzt aber ganz schön spannend“, sage ich zu Esther. Sie lächelt nur müde, Witze sind schon nicht mehr drin. Das Fieber ist direkt auf 39,9 Grad Celsius hochgeschossen.
Erneute Aufregung
Es läuft so einiges schief: Die Hebamme erkennt nicht, was los ist, die Ärztin dosiert das Antibiotikum falsch, Esther landet wieder im Krankenhaus und bekommt Infusionen. Erst vier Tage später darf sie wieder nach Hause. Die Geburt unserer kleinen Mitbewohnerin ist kaum eine Woche her, da hat unsere WG-Familie die nächste Aufregung ereilt. Eine Brustentzündung hatte das Fieber ausgelöst – der weibliche Körper hat schon einiges auszuhalten.
Seit der Geburt sind aber nicht nur Gustav und ich an Esthers Seite, sondern auch ihre Familie ist zur Stelle und greift uns unter die Arme. Trotzdem meldet sich mein temporär durch die Umstände stillgelegter Helferkomplex permanent, während ich einen Freund in Wien besuche. Der Gin Tonic schmeckt nicht besonders gut, wenn innerlich die Sorge pocht. Zurück in Hamburg bin ich sehr froh, dass Esther wieder Farbe im Gesicht hat.
Leibliche Geschwister sind nicht drin
Nach dieser ganzen Aufregung hat unsere kleinste Mitbewohnerin schon diverse Male zu hören bekommen, dass sie leider keine leiblichen Geschwister bekommen kann. Unsere WG wird wohl erst einmal keinen Zuwachs mehr bekommen.
Die Kleine interessiert das jedoch wenig, sie schlummert und klingt dabei wie ein Schweinchen. Es ist ein Zufall, dass ich ihr zur Geburt ein Schweinchenstofftier geschenkt habe, wie Lotta aus der Krachmacherstraße eins hat.
Die Babymitbewohnerin kann trotz alledem nichts aus der Ruhe bringen – außer Hunger natürlich. Hunger ist der Endgegner. Woher soll so ein Baby auch wissen, dass die nächste Nahrung schon kommen wird? In diesem Kontext habe ich gelernt, dass Babygeschrei durch Oropax dringt.
Nachtschicht
Allerdings tangiert mich das nicht besonders. Zwar werde ich nachts ebenfalls wach und registriere, dass da jemand Hunger hat, kann jedoch immer schnell wieder einschlafen. Aufstehen müssen die anderen. Zumindest noch – Esther und Gustav haben schon angekündigt, dass sie die Kleine demnächst nachts heimlich in mein Zimmer schieben werden.
Abgesehen von Wut auslösenden Hungerattacken und einer überraschend ausgeprägten Geruchsbelästigung durch Babyausdünstungen (manchmal riecht sie ein bisschen wie ein faules Ei – ein furchtbar niedliches faules Ei natürlich) tritt zum Glück langsam ein bisschen Normalität in unsere Familien-WG ein.
Die Wohnungsrückeroberung
Die Hauptfamilie, die zum Teil seit mehreren Wochen bei uns campiert hat oder zur Babybeschau angetreten ist, reist peu à peu wieder ab. Unsere Wohnung war zeitweise doch ein bisschen überfüllt. Auch das gehört zu unserem Wohn- und Lebensmodell. Es ist ähnlich wie in einer Partnerschaft, wo man ebenfalls oft gleich eine ganze Familie dazu bekommt. Dass es sich in unserem Fall um keine Zweck-WG handelt, könnte an keiner Stelle deutlicher werden.