Zu Besuch bei Birgit Rabisch
Die Eimsbütteler Schriftstellerin Birgit Rabisch hat mit ihrer Erzählung „Heimatverbunden“ den Kurzgeschichtenpreis der Hamburger Autorenvereinigung gewonnen. Ein Gespräch über Feminismus, die Verantwortung der Wissenschaften und Heimatgefühle.
Von Nele DeutschmannBirgit Rabisch lädt in ihre Eimsbütteler Altbauwohnung ein – ihre Schreibwerkstatt, lacht sie. Gemeinsam mit ihrem Mann, ebenfalls Schriftsteller, wohnt sie bereits seit 1981 in dieser Wohnung. Schon damals sei es schwierig gewesen, eine Wohnung in Eimsbüttel zu ergattern, erzählt sie. 60 weitere Bewerber hatten sich auf die Wohnung beworben. Mittlerweile sind sie und ihr Mann die am längsten ansässigen Mieter im Haus.
In Rabischs zahlreichen Veröffentlichungen lassen sich die unterschiedlichsten Themen ausmachen. Viele verschiedene Stoffe hat sie bearbeitet und sich an diversen Genres versucht. „Ich mag mich nicht festlegen. Mich reizt die Herausforderung.“, sagt sie.
Was bedeutet „Heimat“ für Sie, Frau Rabisch?
Ihre erste Reaktion zur Ausschreibung des Kurzgeschichtenpreises der Hamburger Autorenvereinigung war jedoch: „Oh Gott, Thema Heimat? Damit kann ich ja gar nichts anfangen.“ Sie suchte nach einer Idee, wie der Begriff ein bisschen gegen den Strich gebürstet werden könnte. Das ist ihr gelungen. Sie holte das Thema in die Gegenwart, in das digitale Zeitalter, und wählte somit eine andere Perspektive als ihre Konkurrenten. Dieser Ansatz kam an. Auf einer „Kampflesung“ am 28. Juni setzte sie sich gegen fünf andere Nominierte durch und erlangte den ersten Preis.
Was Heimat für sie bedeute? Das sei trotzdem noch eine schwierige Frage. In Eimsbüttel lebe sie am längsten und fühle sich wohl. Für die meisten Menschen sei Heimat eher der Ort, an dem sie ihre Kindheit verbrachten. Das ist bei Rabisch anders. Sie ist in Eimsbüttel verwurzelt.
Waschechte Hamburgerin
1953 in Hamburg geboren, wuchs Rabisch in Wilster, Schleswig-Holstein, auf. Nach dem Studium der Soziologie und Germanistik an der Universität Hamburg war sie als Dozentin an der VHS tätig. In einer Frauenschreibgruppe begann sie, sich literarisch auszuprobieren und regelmäßig zu schreiben. Das Hobby wurde zum Beruf. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe der Osterstraße.
Schon während ihrer Studienzeit war sie in der Studenten-, Frauen-, und Friedensbewegung aktiv, auch wenn sie eigentlich ein wenig zu jung war. 1968 sei sie erst 15 Jahre alt gewesen und trotzdem hätte sie die Bewegung voll erwischt, lacht die Autorin. Schon in der Schule ging sie auf ihre ersten Demos. „Insofern würde ich mich schon als Altachtundsechzigerin bezeichnen“, so Rabisch.
Von Studenten und der Frauenbewegung
Diese Prägung verarbeitete sie in einer 68er-Trilogie. In den einzelnen Romanen wechselt zwar das Personal, aber sie alle sind um die Zeit der 1968er zentriert. Im ersten Band „Die vier Liebeszeiten“ beschreibt Rabisch die Alltagsgeschichte eines Paares, eingebettet in den historischen Kontext der 68-Generation. In „Wir kennen uns nicht“ geht es um eine konfliktreiche Mutter-Tochter-Beziehung – die Mutter eine feministische Bestsellerautorin, die Tochter Verhaltensforscherin.
Der dritte Band und neuestes Werk Rabischs „Putzfrau bei den Beatles“ spielt in Eimsbüttel. Eine Altachtundsechziger-Altherren-Wg findet sich zusammen, nachdem sie in ihrer Jugend eine Schülerband am Kaifugymnasium hatten, und zieht in eine gelbe Villa in der Tornquiststraße – ihr yellow submarine. Sie alle haben sich nach den Mitgliedern der Beatles benannt.
Eine 24-jährige Putzfrau kommt dazu und ein 12-jähriger Junge, der behauptet, der Enkel von Paul zu sein – daraus ergibt sich eine ganze Menge an Konfliktpotential. In der Montagetechnik werden Songs der Beatles in die Handlung eingeflochten. Das Buch steht momentan in der Hotlist der unabhängigen Verlage.
Auch die Frauenbewegung war in den 70er-Jahren sehr prägend für Rabisch. Zwischenzeitlich sei diese Bewegung ein bisschen abgeebbt – „viele junge Frauen dachten, das ist heute kein Thema mehr, aber in letzter Zeit nimmt es wieder zu – zum Beispiel im Zuge der metoo-Bewegung.“
Sie sei hoffnungsvoll, dass die Frauen doch wieder verstärkt auf ihre Rechte drängten. Alle geschichtlichen Bewegungen verliefen in Wellen. So auch in diesem Fall. „Eigentlich sind das ja Selbstverständlichkeiten, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sein sollten und das setzt sich auf die Dauer auch durch.“, prophezeit Rabisch. Auch ihre beiden Söhne wurden in diesem Sinne erzogen.
Ihrer Zeit voraus
Ihre Weitsicht in Bezug auf wissenschaftliche Fortschritte und gesellschaftsrelevante Themen bewies Rabisch 1992 mit ihrem dystopischen Roman „Duplik Jonas 7“ (ausgezeichnet mit dem Literaturpreis NRW, mehrfach übersetzt und dramatisiert), der zum Bestseller und Standardwerk für den Schulunterricht zum Thema Gentechnologie avancierte. 1996 wurde das Klonschaf Dolly geboren – erst ab dem Zeitpunkt gab es auch in der Öffentlichkeit eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Klonen. Es ist eine Frage, die sie immer wieder umtrieb: Welche Auswirkungen haben die Naturwissenschaften auf unser Leben? Die ethischen Komponenten beschäftigen sie schon lange.
Im letzten Jahr hat Rabisch eine aktualisierte Fassung von „Duplik Jonas 7“ geschrieben, in die sie neuere Entwicklungen, wie CRISPR Cas9, mit aufgenommen hat. CRISPR Cas9 ist die Möglichkeit der Genschere. Im Genome Editing können Gene aus dem DNA-Strang herausgeschnitten und ersetzt werden. Es ist eine molekularbiologische Methode zur zielgerichteten Veränderung von DNA – einschließlich des Erbguts von Pflanzen, Tieren und Menschen.
Eine Frage der Ethik
Ein Meilenstein in der Bekämpfung von Krankheiten, der jedoch ethische Fragen aufwirft. Greift man in die Keimbahn des Menschen ein, können die Eigenschaften des Menschen so verändert werden, dass sich das auch auf weitere Generationen vererbt. Designermenschen wären theoretisch möglich.
Aber auch andere Bereiche wurden aktualisiert. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Somit aktualisierte Rabisch nun auch die Formen der Kommunikation und Informationsbeschaffung in ihrem Roman. Zurzeit wird ihr Werk an der Hochschule Offenburg verfilmt.
Ein weiteres Interview mit Birgit Rabisch findet ihr hier.