Eimsbütteler Kinogeschichte
Vom Guckkasten zum Multiplex – eine Reise durch die einstige Kinohochburg Eimsbüttel.
Von Vanessa LeitschuhDie Geschichte des Eimsbütteler Kinos hält einige Plot-Twists bereit: Nach 1910 wächst der Stadtteil zur Kino-Hochburg. Doch der Krieg zerstört viele Filmpaläste. Sie kehren zurück: In den 1960ern ist Eimsbüttel der Hamburger Stadtteil mit der größten Kinodichte. Bis der Fernseher die Wohnzimmer erobert.
1895–1925: Die Anfänge des Films
1895: Die ersten eindeutig datierbaren Filmaufnahmen in Deutschland sind in Hamburg entstanden, knapp an der Grenze zu Eimsbüttel: Sie zeigen die Ankunft Kaiser Wilhelms II. am Dammtorbahnhof.
In dieser Zeit erobert der Film die Stadt: Man spricht von „lebenden Photographien” und schaut Filme durch Guckkästen oder Automaten. Sie sind eine Attraktion auf dem Dom und in Varieté-Theatern.
Bald zieht der Film in die Kneipen ein – ein Vorbote des heutigen Kinos: Eine Leinwand spannt sich durch dunkle Räume. Wer auf der falschen Seite der Leinwand sitzt, sieht Film und Text spiegelverkehrt – dafür zahlt er nur die Hälfte.
Um 1910 entwickelt sich Eimsbüttel zur Kino-Hochburg. An vielen Stellen eröffnen kleine Kinos, damals Kintopps genannt. Besonders die Gegend um die Hoheluftchaussee ist für Kinobetreiber attraktiv. Die Arbeiter in den Wohnvierteln suchen nach Ablenkung vom Arbeitsalltag. Um nicht nur das Arbeitermilieu in die Kinosäle zu locken, werden Lichtspiel-paläste gebaut. Live-Orchester und prunkvolle Gebäude machen das Kino für die Oberklasse attraktiv.
Das größte und kleinste Kino Eimsbüttels
1906: Das „Theater lebender Photographie” zieht in den größten Saal des Belle Alliance Hotels im Eimsbütteler Teil des Schulterblatts. Mit 1.191 Plätzen ist es 1908 Hamburgs größtes Kino. Die Leinwand misst 35 Quadratmeter, ein Zwanzig-Mann-Orchester bespielt das Publikum. Kinopionier James Henschel betreibt das Kino, bevor es 1918 von der Ufa übernommen wird. Im Zweiten Weltkrieg zerstören Bomben das Haus. Das Kino wird danach an anderer Stelle im Bezirk Altona wieder aufgebaut.
1913: Das kleinste Kino Eimsbüttels öffnet seine Türen: das „Urania-Theater“ im Heußweg. Wegen seiner Größe bekommt es den Spitznamen „Flohkino”. Vor der Leinwand haben 348 Zuschauer Platz, später nur noch 225.
1943 brennt es aus, wird aber schnell wieder aufgebaut. Erst die Konkurrenz im Fernsehen ist das endgültige Aus für das „Flohkino“: 1964 muss es schließen.
Kulisse Hamburg: Hafen und Hagenbeck
Neben dem Hafen ist das Gelände von Hagenbeck ein beliebter Drehort in Hamburg. Bis in die 1920er dient der halbe Park als Filmkulisse für Aufnahmen in fremden Ländern. Die „exotischen” Schauplätze werden mit Requisiten von Ethnographia-Händlern ausgestattet oder aus der Sammlung des Museums für Völkerkunde in Rotherbaum, dem heutigen MARKK.
Hagenbeck stellt damals neben Tieren auch Menschen aus. Oft unter falschen Versprechungen nach Hamburg gelockt, werden sie in „Völkerschauen“ gezeigt. Diese Shows knüpfen bewusst an rassistische Vorurteile an und verfestigen diskriminierende Stereotype. Die Darstellenden in den „Völkerschauen“ werden auch in Filmen als Statisten eingesetzt.
Ein eigenes Kino
Das Gelände ist nicht nur Kulisse, sondern beherbergt auch das Hagenbeck-Kino, das auf Tier- und Jagdfilme spezialisiert ist. Für den Film „Die Löwenjagd” erlegen die Filmemacher einen altersschwachen Löwen aus dem Tierpark vor der Kamera.
Die „Blumenburg”
Die „Blumenburg” war eines der ersten Kinos in Eimsbüttel. 1909 an der Hoheluftchaussee 115 eröffnet, gibt es zweimal wöchentlich ein neues Programm und jeden Montag und Donnerstag ein Künstlerkonzert. Doch schnell ist Kinobetreiber Hugo Steigerwald klar: 116 Plätze sind zu wenig. So zieht er 1912 an die Hoheluftchaussee 96. Die „Neue Blumenburg” ist geboren, mit knapp 700 Sitzen.
Im Krieg wird das Kino ausgebombt, aber nicht völlig zerstört: 1950 feiert es Wiedereröffnung. Bis 1965, nach 56 Jahren, endgültig Schluss ist: Das Kinosterben macht auch hier nicht Halt. Ein Aldi zieht in die Räume. Heute befindet sich das Sunset Billard darin, einige Details des früheren Kinosaals sind noch zu erkennen.
1926–1949: Von großen Filmpalästen in die Notkinos
1926: Das „Capitol“ in der Hoheluftchaussee eröffnet. Es ist bis dahin mit 1.258 Plätzen das größte Kino in Eimsbüttel. Jedenfalls bis der „Emelka-Palast“ zwei Jahre später in der Osterstraße 124 seine Türen öffnet. Für 1.550 Besucher hat das Großkino Platz.
Das „Emelka“ ist der erste echte Kinobau in Deutschland. Bisher waren Lichtspielhäuser wie Theater gebaut: mit Logen und Guckkastenbühne. Entworfen hat das Gebäude Architekt Karl Schneider. Der Saal ist elliptisch statt rechteckig – eine architektonische Sensation. Bei der Premiere ist der Andrang auf das neue Kino so groß, dass die Polizei den Verkehr regeln muss. Die Ticketpreise sind für damalige Verhältnisse teuer: 80 Pfennig kostet der billigste Platz in der ersten Reihe, 2 Mark die besten Plätze. Das Kino erhält den Spitznamen „Palazzo Prozzo”.
1930er: Töne für den Stummfilm, Kino für die Massen, Paläste für die Filme – in den Dreißigern verändert sich die Technik, Kinobesuche erreichen Rekordzahlen und Konzerne wie Ufa und Henschel eröffnen prunkvolle Kinosäle.
Auch wird der Film zunehmend politisch und für Propaganda genutzt. Die Reichsfilmkammer der NS-Regierung regelt die deutsche Filmwirtschaft nach den Vorstellungen der Nazis. Wer ein Kino betreiben will, muss Mitglied in der Kammer sein. Juden und Ausländern ist die Mitgliedschaft untersagt, was einem Berufsverbot gleichkommt.
Trümmer und Traumwelten
Im Krieg werden viele Kinos zerstört. Kinobetreiber reparieren notdürftig oder richten Behelfskinos ein. Menschen versammeln sich in Turnhallen und Schulaulen, um Filme zu sehen.
1946 läuft die Hamburger Filmproduktion langsam wieder an. Sie unterliegt der Kontrolle und Zensur der britischen Besatzungsmacht.
In der FilmSection in der Rothenbaumchaussee 67 werden Filme aus der NS-Zeit überprüft und teilweise verboten. Ausgewählte „entnazifizierte” Deutsche bekommen eine Lizenz zur Produktion von Filmen. Auch die Vorführung bedarf einer Erlaubnis durch die Besatzer. Da es aber nur wenige Personen gibt, die nicht in NS-Organisationen waren, wird auch vielen „passiven” ehemaligen Mitgliedern eine Lizenz erteilt. Bald wird Hamburg das Zentrum westdeutscher Filmproduktion.
1950–1965: Vom Boom zum Fall
Mit dem Wirtschaftswunder boomt die Kinoindustrie. Auf dem Höhepunkt, Anfang der 1960er, ist Eimsbüttel mit neun Filmtheatern der Hamburger Stadtteil mit der größten Kinodichte.
Doch als das Fernsehen in die deutschen Haushalte einzieht, droht vielen Lichtspielhäusern Dunkelheit. Das Kinosterben setzt ein. Auch in Eimsbüttel schließt ein Kino nach dem anderen.
Grindel-Filmtheater
1959 eröffnet das „Grindel-Filmtheater“ mit einem großen Saal und 1.885 Plätzen. Zunächst ist es ein freistehendes Gebäude am Grindelberg 7a. Später entstanden davor Bürogebäude. 1975 übernimmt die Ufa das Kino. Das alte Foyer mit Kassenhäuschen und Süßwarenstand wird verkleinert, damit zwei weitere Kinosäle Platz finden. Im Vorführraum stehen sechs Projektoren für diverse Breitwandverfahren.
Nach fast 50 Jahren muss das Traditionskino 2008 schließen. Der Verein „Rettet das Grindel“ sammelte fast 14.000 Unterschriften. „Wenn die alle nur ein Mal im Monat ins Kino gegangen wären, hätte das eher etwas gebracht“, sagte der damalige Betreiber daraufhin in der Welt.
1967–1989: Das andere Kino
Ende der 1960er wird Hamburg zur Stadt des unabhängigen Films. Filmschaffende schließen sich 1967 zur Initiative „Das Andere Kino” zusammen.
1970: Das erste Programmkino Deutschlands eröffnet: das Abaton im Grindelviertel. Werner Grassmann und Wilfried Fedder bauen eine Garage um und tragen aus anderen Kinos die Technik und Einrichtung zusammen.
Ende der 1970er entsteht das „Blimp“ in der Müggenkampstraße 63 in einer früheren Autowerkstatt. Schon 1985 schließt es wieder.
Das Holi wird in den 1980ern vom Cineplexx-Konzern übernommen. Es ist heute das älteste Kino Eimsbüttels.
1990–2022: Kino der Gegenwart
1994: Der Ufa-Palast am Grindel wird umgebaut. Damit beginnt in Hamburg die Zeit der Multiplexe. In kurzer Zeit eröffnen stadtweit sechs Großkinos von Ufa, CinemaxX und UCI.
2006 eröffnet der Filmraum in der Müggenkampstraße. Das kleine Programmkino von Behzad Safari bietet Platz für 40 Personen.
2019: Der Filmraum startet das jährliche Sommer-OpenAirKino im Stadtpark Eimsbüttel.
Heute bestehen drei Kinos im Bezirk: der Filmraum in Eimsbüttel, das Abaton in Rotherbaum, das Holi in Harvestehude.
Mitarbeit: Valentin Hillinger
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