Christa Randzio-Plath: Eine Stimme der Frauen
Sie wollte Frauen weltweit das ermöglichen, was sie selbst immer versucht hat: sich in einer männerdominierten Welt durchzusetzen. Dafür gründete Christa Randzio-Plath vor vierzig Jahren den Marie-Schlei-Verein.
Von Julia HaasChrista Randzio-Plath fällt auf im Kaisersaal des Hamburger Rathauses. Ihre roten Haare leuchten inmitten der lebensgroßen Porträts an den Wänden, Männer in goldenen Rahmen. Während sich die Gäste an der Garderobe tummeln, hat Randzio-Plath in der ersten Reihe Platz genommen. Minuten später schüttelt eine Frau nach der anderen ihre Hand und umarmt sie. Ein Kaisersaal voller Frauen – für Christa Randzio-Plath.
Marie-Schlei-Verein: „Christa Randzio-Plath ist ein Vorbild“
Im April hat der Hamburger Senat ins Rathaus eingeladen, um den Marie-Schlei-Verein und seine Gründerin zu feiern. Vor vierzig Jahren hat Randzio-Plath die gemeinnützige Organisation gegründet: Sie wollte die Gleichberechtigung von Frauen weltweit vorantreiben.
Als Schulsenatorin Ksenija Bekeris an diesem Nachmittag ans Rednerpult tritt, würdigt sie Christa Randzio-Plath als Vorbild für viele Frauen. Andere Rednerinnen nennen sie eine passionierte Streiterin oder Vorreiterin der feministischen Außenpolitik – lange bevor der Begriff viral ging.
Viele Reden gehalten
„Liebe Frauen, liebe Männer”, sagt Randzio-Plath, als sie selbst ins Mikrofon spricht. Ihre Stimme klingt kraftvoll, als bräuchte sie keinen Verstärker. „Wir brauchen Frauen für den Frieden und um Hass und Gewalt verschwinden zu lassen.” Applaus erfüllt den Kaisersaal.
Christa Randzio-Plath ist 83 Jahre alt, sie hat in ihrem Leben viele Reden gehalten. Als SPD-Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft und im Europäischen Parlament, als Ehrenvorsitzende des Landesfrauenrates Hamburg oder als Gründerin des Marie-Schlei-Vereins.
Im Umfeld von Willy Brandt
Ihr Zuhause liegt abseits des Trubels, zwischen Einfamilienhäusern mit Garten in Niendorf. Hier sitzt Christa Randzio-Plath in ihrem Wintergarten und blickt auf die 180 Jahre alte Eiche im Garten. Ihr Mann stellt eine Wasserflasche und Gläser auf den Tisch, aber zum Trinken bleibt keine Zeit, sie hat viel zu erzählen.
Ihr Leben teilt sie in zwei Seiten: die Politik und den Marie-Schlei-Verein. Das Politische begann in der Schule. Nie wieder Nationalsozialismus, nie wieder Rechts. Dann die Studienreformen, die Befreiungsbewegungen. Erst die algerische, dann andere. Sie habe sich damals viel im Umfeld von Willy Brandt bewegt. Vor allem in der Sozialistischen Internationalen. Randzio-Plath spricht schnell, um alles aufzuzählen.
In einer Welt voller Männer wirken
1989 zog sie als Hamburger Abgeordnete ins Europäische Parlament. Sie wollte schon fünf Jahre früher dorthin. „Aber ein Senator war dagegen.” Sie wartete. Später führte sie den Euro mit ein. „Das war eine historische Geschichte.” Sie hat sie mitgeschrieben.
Christa Randzio-Plath hat immer Wege gesucht, um in einer Welt voller Männer zu wirken. Sie zog eine Studentenzeitung auf – „ich war die einzige Chefredakteurin neben Ulrike Meinhof, sonst nur Männer” – und etablierte ihre Texte beim Spiegel. Das war nicht immer einfach, sagt sie. Sich einschüchtern lassen hat sie aber nie. Auf die gleichen Rechte zu pochen, war für sie selbstverständlich. „Nur eine Sache hat mich früher sehr geärgert – dass ich nicht Fußball spielen durfte, das wollte ich gerne.”
Als Journalistin und Politikerin reiste sie viel – auf der ganzen Welt lernte sie Frauen kennen. Immer wieder begegneten ihr Ungleichberechtigung, Hunger und fehlender Zugang zu Bildung. Das war größer und schlimmer als alles, was sie in Deutschland jemals erlebt hatte.
Sie beschloss, sich zu solidarisieren – und damit begann die andere Seite.
Für Frauen auf der ganzen Welt
Randzio-Plath gründete den Marie-Schlei-Verein, benannt nach er ersten deutschen Entwicklungsministerin. Eine gemeinnützige Organisation, sie als ehrenamtliche Vorsitzende – neben ihrer politischen Karriere.
Im Fokus des Vereins steht, Frauen zu empowern, sie dabei zu unterstützen, selbstständig und unabhängig zu werden. Die ersten Projekte fanden im Senegal, in Mexiko-Stadt und Nicaragua statt. Vor allem in ländlichen Regionen.
Wenn Randzio-Plath über die letzten vierzig Jahre des Vereins spricht, geht ein Projekt in das andere über, ein Beispiel knüpft an das nächste an. Irgendwann sagt sie: „Leider kann ich nicht von allen erzählen.” Aber wenn sie noch eines erwähnen darf, dann das in der Karibik, Jamaika. Dort sei es damals für junge Frauen schrecklich gewesen. Mädchen, die schwanger wurden, mussten die Schule verlassen und wurden von ihren Familien verstoßen. Der Marie-Schlei-Verein habe sich mit Kooperationspartnerinnen vor Ort um die Mädchen gekümmert und Schulzentren für sie aufgebaut. Später habe die Regierung die Schulzentren übernommen.
Jetzt tritt sie zurück
Randzio-Plath spricht in Inhalten, weniger in Emotionen. Wenn sie von den Erfolgen des Marie-Schlei-Vereins erzählt, wenn Männer plötzlich ihren Frauen beim Haushalt halfen, ändert sich das. Sie lacht, wirkt gelöst.
Der Marie-Schlei-Verein hat in den vergangenen Jahrzehnten viel erreicht. „Aber wir dürfen nicht aufhören, es gibt viel zu tun.”
Ein Blick in den aktuellen Bericht der Vereinten Nationen bestätigt das. Weltweit ist es um die Rechte von Frauen schlecht bestellt. Armut, Diskriminierung und fehlende Gleichberechtigung kosten Leben.
Im Kaisersaal sagt Christa Randzio-Plath am Ende ihrer Rede: „Ich wünsche mir eine friedliche Welt, in der alle Frauen ihre Rechte ausüben können. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung.”
Sie hat in den letzten Jahrzehnten nie aufgehört, um Unterstützung zu werben. Egal, welche politische Position sie innehatte, auf Parteitagen der SPD ging sie durch die Reihen und erinnerte ihre Genossen daran, für den Marie-Schlei-Verein zu spenden.
Jetzt, nach vierzig Jahren, tritt Christa Randzio-Plath vom Vorsitz des Vereins zurück. Ein Schritt, der ihr nicht leicht fällt. Doch sie ist 83 Jahre alt – eigentlich wollte sie vor 20 Jahren aufhören.
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