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Schauspielerin Ilona Schulz inszeniert ihr Theaterstück „Unterm Teppich – Der Krieg, meine Eltern und ich“ in der Apostelkirche. Foto: Janine Guldener
Die Schauspielerin Ilona Schulz inszeniert ihr wohl intimstes Theaterstück. Foto: Janine Guldener
Interview

„Die meisten waren Mitläufer“: Eine Schauspielerin über ihre Familiengeschichte

Wer die Gegenwart deuten will, muss die Vergangenheit verstehen. Ilona Schulz spricht im Interview über Aufarbeitung und Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Und wie sie daraus ein Theaterstück gemacht hat.

Von Julius Wettwer

Nach dem Tod ihrer Mutter erhält Ilona Schulz eine Sammlung von Briefen, die sich ihre Eltern während des Zweiten Weltkriegs geschrieben haben. Die Schauspielerin entdeckt eine Seite von ihnen, die sie bisher nicht kannte.

Daraus ist das Theaterstück „Unterm Teppich – Der Krieg, meine Eltern und ich“ entstanden, das am 3. Februar in der Apostelkirche aufgeführt wird.

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Ein Theaterstück als Zeitreise

Eimsbütteler Nachrichten: Wovon handelt Ihr Theaterstück?

Ilona Schulz: Die Ausgangssituation ist der 70. Geburtstag meines Vaters, das war 1979. Das Stück springt dann in der Zeit zurück zu den Briefen und Erzählungen meiner Eltern – bis in den Ersten Weltkrieg. Da war mein Vater fünf Jahre alt. Es geht darum, zu sehen, was er bis zu meiner Geburt erlebt hat.

Ihr Vater hat viel erlebt: zwei Weltkriege, Wirtschaftskrise, Hunger.

Genau. Diese frühen Geschichten enden im Faschismus. Meine Eltern waren jung, sie wünschten sich eine Familie, sie wollten Abenteuer. Ich glaube, mein Vater hat sich sogar freiwillig gemeldet. Er wollte die Welt sehen.

Ein persönliches Theaterstück

Wie ist die Idee zu Ihrem neuen Stück entstanden?

Meine Mutter ist 2010 gestorben und ich habe von meiner Schwester einen Stapel mit Briefen von meinen Eltern bekommen, alle in Sütterlin geschrieben. Die Briefe lagen eine Weile bei mir, bis ich sie Ulli Waller und Dania Hohmann zeigte, mit denen ich viel zusammengearbeitet habe. Sie haben unter anderem ein Theaterstück zum 70. Jahrestag des Massakers von 1944 an Zivilisten durch deutsche Besatzungstruppen in San Gusmé gemacht. Deutsche und italienische Schauspieler traten dabei gemeinsam auf – es ging auch um Versöhnung. Ulli und Dania meinten zu mir, ich solle an den Briefen dranbleiben.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe die Zeitzeugin Edith Badstüber getroffen und sie gebeten, mir einen der Briefe meiner Eltern vorzulesen. Ich war geflasht: Die Menschen, die sich da schreiben, kannte ich nicht! Aber es waren meine Eltern. Das war ein bisschen frivol. Mein Vater schrieb aus Italien, wo er in der Besatzung war. Auch meine Mutter war unterwegs. Ich glaube, bei der Evakuierung aus der Nähe von Landsberg. Das war kurz vor Kriegsende. Ich habe gemerkt, wie ich dadurch ein greifbares Bild meiner Eltern und der damaligen Zeit bekommen habe. Das hat mich sehr berührt.

Stichwort „Generation der Verdränger“ – haben Ihre Eltern mit Ihnen über diese Zeit gesprochen?

Gar nicht! Ich habe meine Mutter ab und zu weinend über dem Abwasch gesehen oder wenn sie mit der Erziehung überfordert war. Sie hat immer gesagt, dass der Krieg und die Flucht sie ihrer Nerven beraubt hätte und sie einfach nicht mehr könne. Aber nie etwas Konkretes. Mein Vater hat nie darüber gesprochen. In der 68er-Zeit haben wir gesagt: ‚Ihr mit eurer unbewältigten Vergangenheit‘. Die Zeitzeugin, mit der ich gesprochen hatte, sagte, sie würde es den 68ern niemals verzeihen, dass diese sie immer wieder in die Situation der Kriegsjahre zurückbringen wollten. Sie wollten doch nur ihre Ruhe haben und ein normales Leben führen.

Irgendwie kann man beide Seiten verstehen, oder?

Ich habe einmal mit meiner Mutter gesprochen, da war sie schon 80. Ich habe sie gebeten, aus den Aufzeichnungen unserer Großtante vorzulesen, da diese auch in Sütterlin geschrieben waren. Es ging um die Vertreibung aus Ostpreußen. Meine Mutter kam dabei in Schwerstatmung. Ich hatte danach ein schlechtes Gewissen. Es ist nicht immer heilvoll, die Menschen in diese Situationen hereinzustoßen. Vielleicht ist es die Aufgabe unserer Generation, das nachzuholen, was sie nicht konnten.

„Im Krieg gibt es keine Gewinner“

In der Ankündigung Ihres Stücks steht „Im Krieg gibt es keine Gewinner“. Lässt sich die Welt in „Gut“ und „Böse“ einteilen oder gibt es eine „Grauzone“?

Es gibt böse Menschen, die so zerstört sind, dass sie keine Empathie mehr empfinden. Aber das große Mittelfeld ist individuell zu betrachten. Das ist im Grunde die Aufforderung des Stücks: Guckt euch eure Geschichte an, macht euren Frieden mit euren Eltern – und vor allem mit euch selbst.

Gab es Schwierigkeiten bei der Vorbereitung des Theaterstücks?

Ich habe viele Förderungen beantragt – aber niemand hat sich zunächst auf das Thema eingelassen.

Was glauben Sie, woran das lag?

Ich habe Volker Ludwig, der einen guten Draht zum Grips-Theater hat, die Briefe gezeigt. Der sagte, das sei rührselig, aber meine Eltern seien weder Widerstandskämpfer noch große Arschlöcher, was gäbe es da zu gucken? Aber genau das ist der Punkt. Die meisten waren Weggucker und Mitläufer. Wie heute auch. Wie immer.

Theaterstück mit Selbstreflexion

Für Ihr Stück haben Sie sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt, wo sehen Sie Parallelen zur heutigen geopolitischen Situation?

Beim Weggucken und Mitlaufen. In der Verführbarkeit. Heute sind es Fehlinformationen – auch schlechte Nachrichten, die unglaublich verführbar sind. Wir werden permanent damit bombardiert. Ich habe das Gefühl, wir kriegen viele Splitter-Informationen, die wir nicht einordnen können. Das verwirrt unser Hirn.

Lernen im Theater

Was kann man aus der Geschichte des Theaterstücks lernen?

Es gibt ein Zitat. „Das Leben wird rückwärts verstanden und vorwärts gelebt“. Das denke ich auch. Wir alle haben unser Gepäck zu tragen. Einer wird getriggert und aggressiv, der andere ist schnell beleidigt. Wir sollten lernen zu akzeptieren, dass das ein Teil von uns ist. Man muss trotzdem die Verantwortung dafür übernehmen, was man ist und was man getan hat – gegenüber sich selbst und gegenüber anderen. Niemand von uns ist schuld am Krieg. Wir tragen dennoch eine Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert.

Welche Bedeutung hat das Stück für Sie?

Das ist eine große Versöhnung. Nicht in dem Sinne, dass es alles entschuldigt, was passiert ist. Aber es hat mir meine Eltern zurückgegeben. Dieses Schweigen, wodurch ich viel von meinen Eltern nicht hatte, wurde dadurch gefüllt. Es ist auch eine Versöhnung mit mir selbst. Es ist ein Herzöffner.

Über Ilona Schulz

Ilona Schulz blickt auf eine 48-jährige Schauspielkarriere zurück. Schulz absolvierte mit 19 Jahren ihr Abitur und studierte danach zwei Jahre lang Germanistik und Theaterwissenschaften. Die vielseitige Schauspielerin hat von Staatstheater, über Straßentheater bis hin zu Auftritten als „Klinikclown“ viele Facetten ihres Berufs kennengelernt. Humorvoll erzählt sie, dass sie alles gemacht habe „außer Porno und Werbung“. Von Berlin bis Basel war sie an diversen Häusern tätig.

Laut Schulz lag ihr eine Inszenierung besonders am Herzen: Das Musical „Linie 1“, das am Grips-Theater im Berlin der Achtzigerjahre seine Premiere feierte. „Es war eine Bombenstimmung damals! Wir waren jung, wir waren wild. Die Achtziger eben. Die Achtziger im Mauer-Berlin.“


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