„Hamburg enteignet“ will Immobilienkonzerne vergesellschaften
Die Volksinitiative sammelt Unterschriften, um große Wohnungskonzerne zu enteignen. Was das für Hamburg bedeuten würde.
Von Valentin HillingerAuf pink-türkisfarbenen Plakaten prangt der Schriftzug „Mieten runter!“. Hinter dem Aufruf steht Hamburg enteignet. Seit dem 15. September sammelt die Volksinitiative auch in Eimsbüttel Unterschriften. Ihr Anliegen: Große Immobilienkonzerne enteignen. Für Mieterinnen und Mieter könnte das eine deutliche Mietsenkung bedeuten.
„Hamburg enteignet“: Wer ist betroffen?
Wohnungskonzerne enteignen – wie soll das gehen? Als Grundlage für die Argumentation dient der Artikel 15 im Grundgesetz. Dieser besagt, dass eine Vergesellschaftung von „Grund und Boden“ möglich ist. Darauf beruft sich Hamburg enteignet – und möchte den Artikel in die Tat umsetzen.
Profitorientierte Wohnungskonzerne mit mindestens 500 Wohneinheiten in Hamburg will die Initiative vergesellschaften. Genossenschaften und die städtische Immobiliengesellschaft SAGA sind von den Enteignungs-Plänen ausgenommen. Auch private Kleinvermieter sollen verschont werden: „Wer sich mit zwei oder drei Eigentumswohnungen seine Rente finanziert, ist nicht betroffen“, erklärt Hanno Hinrichs von Hamburg enteignet.
Inspiration aus Berlin
Hamburg enteignet hat sich im Oktober 2021 nach dem Erfolg von DW & Co enteignen in Berlin gegründet. 2021 stimmte dort eine Mehrheit der Bevölkerung für die Enteignung großer Immobilienkonzerne.
In Berlin ist die Deutsche Wohnen (seit 2021 Teil der Vonovia) mit über 114.000 Wohnungen in der Hauptstadt. Die Lage in Hamburg ist anders: Der größte Vermieter der Stadt ist die städtische SAGA, die etwa 137.000 Wohnungen verwaltet. Das sind rund 20 Prozent der Mietwohnungen. Weitere 20 Prozent gehören den Genossenschaften. Die verbleibenden 60 Prozent sind im Bestand von privaten Vermietern.
„Vonovia“ im Fokus
In Hamburg ist Vonovia der wichtigste Akteur am privaten Mietmarkt. Die Aktiengesellschaft aus Bochum besitzt und verwaltet über 19.600 Wohneinheiten in der Hansestadt. Auch im Eidelstedter Eisenbahnerviertel hat Vonovia Mietwohnungen. Zuletzt stand der DAX-Konzern im Juni wegen Mieterhöhungen in der Kritik.
Die genauen Eigentumsverhältnisse am Hamburger Immobilienmarkt sind nicht öffentlich einsehbar, kritisiert Hinrichs. „Wir wissen nicht, wem Hamburg im Einzelnen gehört.“, sagt auch Marielle Eifler, stellvertretende Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg. Sie spricht sich für ein Wohnraumkataster aus, das die Eigentümer auflistet.
Hinrichs: Entlastung für gesamten Markt
Wenn die Pläne der Volksinitiative umgesetzt werden sollten, würden rund 100.000 Wohnungen von privater in öffentliche Hand wechseln. Und dann? „Die Miete wird radikal sinken“, ist Hinrichs überzeugt. In der jetzigen Situation gehe ein großer Teil der Miete in Form von Dividenden direkt an Aktionäre. Bei Vonovia sind das Berechnungen zufolge zwischen 40 und 50 Prozent der Mieteinnahmen. Dieser Betrag falle nach der Vergesellschaftung weg, weil keine Investoreninteressen mehr bedient werden müssten, argumentiert er.
Auch alle Mieterinnen, deren Wohnung nicht direkt von der Vergesellschaftung betroffen ist, profitierten aus Sicht der Initiative. Über den Mietenspiegel wirke sich die Senkung auf den gesamten Markt aus. Laut Mietervertreterin Eifler würde die Vergesellschaftung alleine nicht automatisch zu einer Mietsenkung führen. Bestehende Mietverträge müssten erst abgeändert werden. Der Senat hätte dann aber mehr Einfluss auf die Preisgestaltung.
Wie viel kostet die Enteignung?
Hinrichs ist sich bewusst, dass enteignete Unternehmen einen Anspruch auf Entschädigung hätten. Auch das stellt das Grundgesetz fest. Doch die Stadt hätte einen großen Ermessensspielraum, so der Aktivist. Geht es nach Hamburg enteignet, müssten Entschädigungen mit Rücksicht auf das Allgemeinwohl weit unter dem Marktwert erfolgen: „Schließlich ginge es um Vergesellschaftung, nicht um Kauf.“
Auch hierfür hat die Initiative einen Plan: Die Mieteinnahmen sollen langfristig die Entschädigungen finanzieren. So würde der Hamburger Haushalt nicht belastet werden.
Von der Volksinitiative zum Volksentscheid
Die Volksinitiative ist der erste Schritt. Unterschreiben 10.000 Hamburgerinnen und Hamburger den Antrag, wird die nächste Phase – das Volksbegehren – eingeleitet. Hier ist die Hürde bedeutend höher: 65.000 Unterstützungserklärungen müssen gesammelt werden. Erst dann kommt es zum Volksentscheid – der eigentlichen Abstimmung. Sind mehr als 50 Prozent der Hamburger für die Vergesellschaftung, muss der Senat dem Auftrag nachkommen und ein Gesetz erarbeiten.
Verfassungsschutz warnt: Kommunistische Gefahr?
Der Hamburger Verfassungsschutz (LfV) rückt indes einen anderen Aspekt in den Vordergrund und warnt vor der Initiative. Hinter Hamburg enteignet stehe die Interventionistische Linke, eine extremistische Gruppierung, heißt es in einer Pressemitteilung. Diese strebe einen kommunistischen Staat an.
Hinrichs reagiert gelassen: „Wir stehen auf dem Boden der Verfassung“, erklärt er. Die Argumentation der Volksinitiative beziehe sich auf das Grundgesetz. „Alle, die das wegdiskutieren wollen, sollten mal ihr eigenes Verhältnis zur Verfassung abklären“, entgegnet er dem Verfassungsschutz.
Dieser weist wiederum auf seine Funktion als „Frühwarnsystem der Demokratie“ hin. Man greife nicht das Anliegen der Vergesellschaftung an sich an, sondern warne vor dem Einfluss gewaltbereiter Linksextremisten.
„Hamburg enteignet“: „Wir sind eine plurale Bewegung“
Etwa 40 Aktivistinnen und Aktivisten bilden das Kernteam von Hamburg enteignet, erklärt Hinrichs. Menschen aus unterschiedlichen politischen Gruppierungen – auch Parteien – seien in der Volksinitiative aktiv. Für viele sei es das erste Mal, dass sie sich politisch engagieren.
Der Mieterverein sieht die Volksinitiative positiv. Aber: „Enteignung halten wir nicht für das erste Mittel der Wahl“, sagt Marielle Eifler. Aus ihrer Sicht sollten Lösungen im Dialog gesucht werden.
Erste Reaktionen
Hanno Hinrichs ist optimistisch: „Die objektiven Bedingungen sprechen für uns.“ Das merke man auch bei ersten Kontakten mit der Stadtbevölkerung. Wörter wie „Enteignung“ schreckten nicht mehr ab, berichtet er. Von vielen Menschen bekomme man positive Rückmeldung zum Vorhaben.