Bezirksversammlung: Wie Ausschüsse die Mehrheiten der Fraktionen verzerren
Ein Problem für die Demokratie? SPD und Linke hinterfragen die Sitzverteilung in den Ausschüssen der Bezirksversammlung. Was steckt dahinter?
Von Valentin HillingerDer Wähler bestimmt, wer Politik macht. Mit seiner Wahl entscheidet er über politische Mehrheiten – und damit, welche Partei Beschlüsse fasst. Das gilt auch in der Bezirkspolitik. Eigentlich. Eimsbütteler Bezirkspolitiker kritisieren, dass die politischen Mehrheiten dort nicht richtig abgebildet werden.
Fahrradzonen, Parkbänke und Sondermittel: Mit all diesen Themen beschäftigt sich die Bezirksversammlung. Darüber beraten wird meist in den Ausschüssen. Dort diskutieren die Abgeordneten in kleinerer Runde über die Anträge der Fraktionen.
Mehrheitsverhältnisse nicht abgebildet
Die Ausschüsse gibt es zu (fast) jedem Fachthema: Neben Themen wie Mobilität oder Jugend gibt es auch für die Stadtteile eigene Regionalausschüsse. Im sogenannten Hauptausschuss werden Themen besprochen, die den ganzen Bezirk betreffen und für wichtig erachtet werden. Die Ausschüsse geben in den meisten Fällen Beschlussempfehlungen für die Bezirksversammlung ab. In manchen – unter ihnen der Hauptausschuss – fassen die Bezirkspolitiker aber auch direkt Beschlüsse.
Das Problem: Die Mehrheiten der Bezirksversammlung werden dort nicht eins zu eins abgebildet. Wer entscheidet, basiert also nicht zwangsläufig auf dem Wählerwillen. Das zumindest sagen Politiker der Eimsbütteler SPD und Linke.
Wer sitzt in den Ausschüssen?
Maximal 15 Sitze hat jeder Ausschuss. Jede Fraktion entsendet Vertreter – wie viele, das regelt das sogenannte “Hare-Niemeyer-Verfahren”. Darüber hinaus hat jede Fraktion Anspruch auf mindestens einen Sitz. Idealerweise werden so die Mehrheitsverhältnisse aus der Bezirksversammlung in den Ausschüssen abgebildet. In Eimsbüttel – finden SPD und Linke – ist das nicht der Fall.
51 Sitze hat die Bezirksversammlung – für einen Beschluss ist die Mehrheit von 26 nötig. Seit es in Eimsbüttel keine feste Koalition mehr gibt, sind die Fraktionen frei in der Wahl ihrer Partner: Die Mehrheit in der Bezirksversammlung kann sich durch verschiedene Kombinationen ergeben – zum Beispiel durch ein Bündnis von SPD, CDU und Linke. In den Ausschüssen ist das anders – die Mehrheitsverhältnisse werden aufgrund der Sitzverteilung nicht widergespiegelt. SPD, CDU und Linke kommen im Ausschuss auf nur 7 Stimmen – zu wenig, um einen Beschluss zu fassen.
Ausschüsse: Gottlieb sieht strukturelles Problem
Das wollte die Linksfraktion ändern. In einem Antrag von März 2022 plädierten die Abgeordneten für eine Anpassung der Ausschussgröße. Statt 15 sollen zukünftig 17 Abgeordnete in einem Ausschuss arbeiten – dadurch könnten die Mehrheitsverhältnisse abgebildet werden. Rechtlich sei das möglich, argumentiert Fraktionsvorsitzender Mikey Kleinert mit dem Bezirksverwaltungsgesetz.
„Besonders relevant ist das im Hauptausschuss“, erklärt Kleinert. Doch auch andere Ausschüsse, die Beschlüsse fassen dürfen – etwa die Regionalausschüsse – seien davon betroffen. Gabor Gottlieb, Fraktionsvorsitzender der SPD, hat den Antrag unterstützt. Für ihn ist die korrekte Abbildung der Mehrheitsverhältnisse ein „Gebot des Demokratieprinzips“. Gerade in Eimsbüttel, wo es keine feste Koalition gibt, sei die Möglichkeit für flexible Mehrheiten wichtig.
Bezirksamtsleiter Gätgens: „Beschluss nicht rechtens“
Der Antrag wurde damals angenommen – mit Stimmen der Linken und SPD, gegen die Stimmen der CDU. Die Grünen enthielten sich bei der Abstimmung. Kurze Zeit später beanstandete der damalige Bezirksamtsleiter Kay Gätgens den Beschluss.
Seine Begründung: Eine Aufstockung der Ausschussgrößen sei nur notwendig, wenn Koalitionsmehrheiten oder absolute Mehrheiten nicht korrekt abgebildet werden. Die Sichtweise habe sich auch mit der neuen Bezirksamtsleitung nicht geändert, so eine Sprecherin des Bezirksamtes Eimsbüttel.
Beanstandungen durch die Bezirksamtsleitung
Gemäß Bezirksverwaltungsgesetz kann die Bezirksamtsleitung Beschlüsse der Bezirksversammlung beanstanden, wenn sie gegen Recht und Gesetz oder übergeordneten Anweisungen verstoßen. Die Beanstandung schiebt die Umsetzung des Beschlusses auf. Die Bezirksversammlung hat danach die Möglichkeit, den Beschluss mittels Abstimmung abzuändern oder aufzuheben. Verfällt dafür die Frist, landet die Beanstandung beim Hamburger Senat, der letztgültig darüber entscheidet.
SPD und Linke kritisieren Beanstandung
Bei den Linken sorgt Gätgens Argumentation nach wie vor für Unverständnis. Die derzeitige Sitzverteilung sei „eine Benachteiligung der SPD, CDU und unserer Fraktion und unserer Wählerinnen und Wähler“, so Kleinert.
Auch SPD-Politiker Gabor Gottlieb sieht die Beanstandung kritisch: „Immer dann, wenn sich eine Mehrheit auch praktisch wirklich realisieren kann, dann muss sich dies auch in den Ausschüssen widerspiegeln.“ Solange dies nicht passiere, sei die parlamentarische Arbeit gelähmt.
Professor: „Begründung nicht überzeugend“
Auch Arne Pilniok, Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Uni Hamburg, unterstützt die Argumentation der Bezirksamtsleitung nicht.
Die Begründung, dass eine Anpassung der Ausschussgröße nur bei Koalitionen oder absoluten Mehrheiten notwendig ist, kann er nicht nachvollziehen. „Auch wenn es keine feste Koalition gibt, ist es wichtig, dass die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen eine entsprechende Zusammenarbeit erlauben“, so Pilniok.
Ausschussgröße: Wann entscheidet der Senat?
Nun liegt die Entscheidung beim Hamburger Senat. Dieser urteilt nach einer Beanstandung über den weiteren Verlauf. Hoffnungen auf eine Änderung hat Gottlieb von der SPD nicht. Er geht davon aus, dass der Senat sich an die Argumentation des Bezirksamtsleiters hält.
Wann die Entscheidung fallen wird, ist unklar, wie ein Senatssprecher den Eimsbütteler Nachrichten mitteilte. Eine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion im Januar zu der Thematik ergab ebenfalls keine weiteren Informationen. Mikey Kleinert bezweifelt indes, ob sich der Senat überhaupt zu der Frage positionieren wird. Er vermutet, dass die Entscheidung bis zur nächsten Bezirksversammlungswahl 2024 aufgeschoben wird.
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