Nicole aus Odessa – Barista in Eimsbüttel
Nicole Zinchenko machte gerade Urlaub in Hamburg, als Russland ihre Heimat, die Ukraine, überfiel. Die erfahrene Barista blieb – und fand im „Black Hat Coffee“ einen Job.
Von Christian LitzNicole stammt aus Odessa und kann ziemlich guten Kaffee machen. Also professionellen High-Class-Kaffee. Vier Jahre hat sie daheim in verschiedenen Bars und Cafés als Barista gearbeitet. Sie war in den hippen Läden und hatte einen Ruf.
Dann nahm die 21-Jährige für eine Woche Urlaub. Sie fuhr, wie in all den Jahren davor auch, nach Hamburg, ihren Onkel besuchen. Kam an, schlief sich aus und wachte am 24. Februar auf: In der Ukraine war Krieg. Für Nicole kamen die russischen Soldaten im Schlaf.
Oma bleibt in Odessa, Nicoles Schwester auch
Jetzt sitzt sie hier. Ihre Mutter ist gestern nachgekommen. Ihre alte Großmutter will nicht die Ukraine, ihre Heimat, verlassen. Also ist ihre Schwester dort geblieben. Nicole Zinchenko hat einem Job gefunden und inzwischen auch eine eigene Wohnung in Eimsbüttel.
Das mit dem Job war ganz einfach, sie ist ja Barista, und wo gibt es mehr Cafés, die sich ganz der Kaffeekultur verschrieben haben, als in Eimsbüttel?
Den Job hat ihr eine Freundin vermittelt, die nach Kriegsausbruch aus Odessa zu ihrer Verwandtschaft nach München floh und sich auf eine Stellenanzeige im Internet gemeldet hatte: Barista gesucht.
Am Telefon stellte die Freundin, Dasha, eigentlich Daria, dann fest: Mist, das ist ja in Hamburg. Nichts für mich. Sie gab Nicoles Nummer weiter und Inna Zamikhovksa von Black Hat Coffee rief Nicole an.
Freitag telefoniert, Sonntag Job
Die beiden telefonierten Freitagabend, trafen sich am Samstag, und am Sonntag war Nicole in Eimsbüttel an der Siebträgermaschine zu Gange, als wär sie daheim in Odessa. Ende Urlaub, Anfang Exil.
Das Vorstellungsgespäch war seltsam. Inna Zamikhovska sagte als Erstes: Bist du etwa die Schwester von Aleksandra?“ Sie hatte mit Nicoles älterer Schwester Aleksandra in Odessa Politik studiert. Jetzt managt sie mit ihrem Mann Black Hat Coffee, eine Firma, die sie gegründet hatten, um guten Kaffee in Firmenkantinen zu bringen, dann zu einem Onlineshop weiterentwickelten.
Vor dem ehemaligen Blumenladen Florales
Nun wollten sie gerade ein eigenes Café, das Black Hat Coffee eben, eröffnen. Nicole hatte den Job.
Noch ist das Black Hat Coffee im Eppendorfer Weg 66, dort, wo früher der Blumenladen Florales war, nicht fertig. Nur drei Tage die Woche steht Nicole jetzt mit einer mobilen Kaffeebar vor dem ehemaligen Florales und sorgt für guten Kaffee auf einer La Marzocco, extra customized für das Black Hat Coffee. Perfekte Maschine, sagt Nicole.
Fast in Hamburg zur Welt gekommen
Sie macht kurz eine Pause, und Inna Zamikhovska übernimmt. Nicole setzt sich auf eine kleine Bank, einen Flat White in einer Hand und erzählt: „Nein, Nicole ist ein Name, den es in der Ukraine gibt. Aber eigentlich wäre ich ja fast in Hamburg zur Welt gekommen. Vielleicht heiße ich deshalb Nicole.“
Wie das? „Mein Vater und mein Onkel kamen vor 28 Jahre her, um zu arbeiten. Meine Eltern lernten sich hier kennen. Eigentlich sollte ich hier zur Welt kommen. Aber sie gingen 2000 zurück, weil es gerade keinen Job mehr in Hamburg gab. Mein Onkel blieb und wir besuchten ihn drei-, viermal im Jahr in Hamburg. Die ganze Zeit.“
Ihr Kosename ist April.
Zum 27. Mal hier, zum ersten Mal alleine
Sie kenne die Stadt, Eimsbüttel aber noch nicht. Es sei komisch, sie sei zum ersten Mal alleine gewesen hier. Gut ihr Onkel ist hier. Sie ist viel spazieren gegangen. Die Hamburger Sehenswürdigkeiten kannte sie ja schon, sie lief durch Eimsbüttel und Eppendorf, schaute in Ecken und Winkel. Sie hatte ja nichts zu tun. Mit ihrem Freund hat sie ihren 22. Geburtstag alleine gefeiert. „Kaffee und Kuchen.“
Doch, sie freue sich, in Eimsbüttel zu wohnen, so nahe am Arbeitsplatz. Das bedeutet, wenig Zeit geht für den Weg zur Arbeit drauf. Sie braucht Zeit, jetzt wo ihre Mutter da ist und vor allem, weil es in Deutschland so viel zu organisieren gibt.
Bürokratie sei das Wort, sagt sie. Sie lächelt viel, aber als sie das sagt, lächelt sie noch mehr. Als würde sie ein nettes, kleines, vor allem aber trotziges Kind beobachten.
Dies schlechte Gewissen der Geretteten
Ihr Fazit: Es laufe gut für sie. Aber sie fühle sich nicht richtig gut: Oma, Schwester, Heimat in Gefahr, Tod und Leid, sie verstehe die Welt gerade nicht. Aber sie arbeitet hier als Barista. Sie lächelt, wie fast immer. Seltsam, sagt sie. Ganz komisch. Verrückt. Sie habe ein schlechtes Gewissen.