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Seit letztem Jahr erinnert eine Gedenktafel am Haus Nummer 30 in der Emilienstraße an die Widerstandskämpfer Magda und Paul Thürey. Foto: Kuratorium Gedenkstätte-Ernst-Thälmann e.V.
Seit letztem Jahr erinnert eine Gedenktafel am Haus Nummer 30 in der Emilienstraße an die Widerstandskämpfer Magda und Paul Thürey. Foto: Kuratorium Gedenkstätte-Ernst-Thälmann e.V.
Widerstand

Untergrund im Souterrain: Antifaschistischer Widerstand im Seifenladen

Sie versteckten ihre Flugblätter zwischen Waschpulver und planten Aktionen vom Seifenladen aus. Im „Waschbär” in der Emilienstraße traf sich der antifaschistische Widerstand. Wie Magda Thürey und ihr Mann Paul sich Hitlers Nazi-Regime entgegenstellten.

Von Vanessa Leitschuh

Hamburg 1933

Hamburg ist nicht länger rot. Die Bürgerschaft hat gewählt. Auch wenn die Wahl eine Farce gewesen war: Die Nationalsozialisten waren an der Macht.

Noch am selben Abend im März 1933 versammeln sich Hundertschaften von SS, SA und Polizei mit zehntausenden Zuschauenden auf dem Rathausplatz. Kirchenglocken läuten, die Masse jubelt, als der neue Senat auf den Rathausbalkon tritt. Gauleiter Karl Kaufmann nimmt das Mikrofon zur Hand: „Wir haben jetzt die Macht ergriffen und wir werden sie zu halten und zu verteidigen wissen!”

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Sechs Kilometer nordwestlich, im Arbeiterstadtteil Eimsbüttel, lebt der rote Geist weiter. Bisher gehörten hier linke Fahnen zum Straßenbild. Jetzt sind sie verboten. Trotz Kommandos, die die Straßen durchkämmen, trotz Verhaftungen und Folter, regt sich Widerstand. Statt Fahnen zu hissen, hängen die Frauen im Luruper Weg Anfang Mai rote Kissen und Decken aus Fenstern und Balkonen.

Nicht weit entfernt, in einem Seifengeschäft im Souterrain der Emilienstraße 30, baut sich in dieser Zeit ein konspiratives Netzwerk auf. Der Laden Waschbär wird zum geheimen Treff antifaschistischer Widerstandskämpfer.

Der Name des Ladens spielt auf den Geburtsnamen „Bär” von Magda Thürey an. Sie eröffnete das Geschäft zusammen mit ihrem Mann Paul.

Grindelviertel 1899 – 1932

Magda Bär wurde in eine Kapitänsfamilie geboren. Sie wuchs mit einem Bruder am Grindelberg 33 auf. Ihr Geburtshaus steht noch heute gegenüber den Grindelhochhäusern. Ihr Vater starb früh, so dass die Familie die Jahre des Ersten Weltkriegs nur mit Mühe überstand.

Schon während ihrer Schulzeit an der Emilie-Wüstenfeld-Schule wuchs in Magda der Wunsch, Lehrerin zu werden. Sie machte eine Ausbildung am Lehrerseminar Hohe Weide. Mit gerade 20 Jahren begann sie 1919, als Lehrerin an der Volksschule in der Lutterothstraße 80 zu arbeiten und später an der Schule in der Methfesselstraße 28. Sie kümmerte sich vor allem um ärmere Kinder, denen viele Chancen verwehrt blieben.

Magda Bär, später Thürey, mit ihren Schülerinnen an der Schule Lutterothstraße 80 um 1928. „Der Umgang mit ihr war anders als mit anderen Lehrern: Man hatte bei ihr keine Angst. An der Schule gab es viele Kinder, die sitzen geblieben waren, aber Frau Thürey nahm jedes Kind mit rüber – solange es ging”, sagte eine Schülerin über ihre Lehrerin Magda Thürey. Foto: Kuratorium Gedenkstätte-Ernst-Thälmann e.V.

Magda stand dem autoritären Schulsystem kritisch gegenüber, sie knüpfte Kontakte zu linken Kreisen, arbeitete in der Hamburger Lehrergewerkschaft und trat 1925 der KPD bei. Als Spezialistin für Schulfragen zog sie für die KPD sogar in die Bürgerschaft ein.

Emilienstraße 1933 – 1942

Bis die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Mit Auflösung der Hamburger Bürgerschaft und dem Verbot der KPD verliert Magda Thürey ihre berufliche Existenz: Als Mitglied der Kommunistischen Partei wird sie aus dem Schuldienst entlassen.

In Hamburg herrschen nun Methoden des offenen Terrors: Kommandos bekämpfen die Arbeiter­bewegung und führen Razzien durch. Bis Juli verhaften sie rund 2.400 Kommunisten. Auch die Wohnung von Magda und Paul Thürey durchsuchen sie mehrfach.

Da beide jetzt arbeitslos sind, eröffnen sie den Seifenladen Waschbär, zunächst in der Osterstraße 100, ein Jahr später ziehen sie in die Emilienstraße 30, wo sie hinter dem Verkaufsraum in einer kleinen Wohnung leben.

Der Laden ist von Anfang an ein Treffpunkt für den Widerstand. Zwischen Seifenpulver lagern sie illegale Schriften, reichen Flugblätter weiter und planen dort ihre Aktionen.

Eine der größten Widerstandsgruppen Hamburgs entsteht

Im Jahr 1936 verhaftet die Gestapo mehrere tausend Mitglieder des kommunistischen Widerstands – und bringt ihn damit weitgehend zum Stillstand.

1939 findet Paul Thürey wieder Arbeit – in einem Rüstungsbetrieb. Er wird zum Verbindungsmann zwischen Widerstand und Arbeitern, unter ihnen sowjetische Zwangsarbeiter. Er liefert der Widerstandsgruppe Berichte über die Stimmung in der Belegschaft, verteilt Flugblätter an die Arbeiter und klärt über die Sinnlosigkeit des Kriegs auf. Magda führt derweil das Seifengeschäft allein weiter.

Aus den Treffen entsteht 1941 eine der größten Widerstandsgruppen Hamburgs: die Bästlein-Jacob-Abshagen-Organisation. Mehr als 300 Männer und Frauen gehören ihr an, ihre Maulwürfe sitzen in über dreißig Großbetrieben, die größte Zelle in der Werft Blohm und Voss.

Die Gruppe trifft sich an wechselnden Orten in Hamburg. Mal in Wohnungen, mal in Geschäften. Über einen Tabakkiosk am Rathausmarkt verabreden sie die nächsten Treffpunkte, natürlich verschlüsselt. „Grüß Franz, wenn er das nächste Mal herkommt”, sagt etwa ein Kunde zum Kioskbesitzer. „Sag ihm, Walter hat gesagt, er soll am Montag seine Karre wieder abholen.“

Trotz aller Vorsicht deckt die Gestapo die Gruppe im Oktober 1942 auf. Über 60 Mitglieder kommen in Haft, unter ihnen Paul Thürey. Wochen der Verhöre und Folter vergehen, dann kommt er ins KZ Fuhlsbüttel.

Fuhlsbüttel 1943 – 1945

Hamburg brennt. Es ist Juli 1943, und die Alliierten bombardieren die Stadt. Ein Großteil der Gefangenen erhält Hafturlaub, auch die Mitglieder der BJA-Gruppe – mit der Auflage, keinen Kontakt zu „Tatgenossen” aufzunehmen. Nur die Hälfte hält sich daran, der Rest taucht unter. Doch die meisten der geheimen Treffpunkte sind von Bomben zerstört. Magda Thürey zögert nicht und bietet ihre Wohnung und ihr Lokstedter Gartenhäuschen als Unterschlupf an. Dort setzen sie ihre illegale Arbeit fort.

Als einige Monate später von der Gestapo Verfolgte bei Mitgliedern der Widerstandsgruppe um Hilfe bitten, werden viele von ihnen wieder gefasst. Es waren Spitzel. Paul Thürey gerät erneut in Gefangenschaft.

Magda und Paul Thürey (von rechts) mit Freunden in einem Garten. Das Bild entstand um 1942. Foto: Kuratorium Gedenkstätte-Ernst-Thälmann e.V.
Magda und Paul Thürey (von rechts) mit Freunden in einem Garten. Das Bild entstand um 1942. Foto: Kuratorium Gedenkstätte-Ernst-Thälmann e.V.

Auch der Seifenladen, lange ein sicheres Versteck, fliegt auf – vermutlich durch den Hinweis einer Kundin. SS-Sturmführer Henry Helms holt auch Magda Thürey ab. Wegen „kommunistischer Umtriebe”. Auch sie kommt nach Fuhlsbüttel, auch ihr droht als Helferin die Todesstrafe.

Magda muss unterschreiben, dass sie den Laden Waschbär an Gertrud Pfälzer übergibt. Jetzt steht eine Neue hinter der Ladentheke, eine Freundin von Magda Thürey, heißt es. In Wirklichkeit gibt es keine Gertrud Pfälzer. Die Neue, ein Spitzel. Der Laden, eine Falle.

Magdas Mut ist ungebrochen

Im Mai 1944 beginnen die „Hamburger Kommunistenprozesse”. Paul Thürey wird zum Tode verurteilt und am 26. Juni im Alter von 41 Jahren zusammen mit neun Gefährten enthauptet. Insgesamt fallen 70 Männer und Frauen der BJA-Widerstandsgruppe dem Nationalsozialismus zum Opfer.

In Fuhlsbüttel erfährt Magda Thürey von der Ermordung ihres Mannes.

Seit ihrem 31. Lebensjahr leidet sie an Multipler Sklerose. Durch einen gesunden Lebensstil hat sie es geschafft, ihr Geschäft ohne Hilfe zu führen. Doch jetzt, im Gefängnis, verschlechtert sich ihr Zustand. Mitgefangene schmuggeln Reformkost in Magdas Zelle, weil es ihrer Gesundheit gut tut. Magda selbst darf keine Pakete empfangen, auch keinen Besuch, sie darf nicht lesen, nicht schreiben, ist fast ständig in Einzelhaft, 18 Monate lang. Ihre Krankheit wird so schlimm, dass sie beinahe vollständig gelähmt ist. Sturmführer Helms behält sie trotzdem in „Schutzhaft”, denn: „Wenn sie auch nicht mehr fliehen kann, so kann sie doch noch denken und reden.”

Trotzdem erlebt sie die Befreiung im Mai 1945, ihr Mut ist ungebrochen. Im Krankenhaus sagt sie zu ihrem Bruder: „Ich muss doch wieder besser werden, dass ich rauskommen und mitarbeiten kann!” Wenige Monate später erliegt Magda Thürey den Folgen der Haft. Sie stirbt im Alter von 46 Jahren.


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